Killinger Literaturkunde, Schulbuch

388 In einem Interview mit Kristina Werndl beschreibt Katrin Röggla die wesentlichen Aspekte ihrer Arbeit: 1 5 10 mich interessieren gesellschaftliche knoten. mischverhältnisse. zusammenhänge. wider- sprüche. das sind politische fragestellungen, aber, wie gesagt, literatur kann nicht per se politisch oder nicht politisch sein, auch wenn sie in bestimmten historischen situationen politische reaktionen auslösen konnte. kunst scheint mir die aufgabe zu haben, wenn sie überhaupt aufgaben hat, ambivalenzen, widersprüche herauszuarbeiten. und außerdem bin ich beim schreiben zu einem großen teil auch mit mir selbst beschäftigt, also was machen bestimmte diskurse, rhetoriken, sprech- und kräfteverhältnisse mit mir. also die frage nach emotionalen und psychologischen interferenzen, die diese widersprüche und machtverhält- nisse auslösen, auch wenn sich das bei meinem schreiben mehr auf der ebene der geste, des ausdrucks äußert. 1 5 10 15 20 25 wir schlafen nicht (2004) der senior associate: er denke dexedrin, also keine hexerei. mit dexedrin werde so was leicht gemacht, oder ephedrin, so vom wirkstoff her. captagon habe man das früher genannt, und heute werde es wohl auch noch so heißen, so vom markennamen her, wachmacher eben, amphetamine. er habe das zeug gar nicht genommen, wie gesagt, er brauche das ja nicht mehr, das laufe bei ihm rein über den adrenalinspiegel ab. der it-supporter: also kollegen hätten sich das gesicht gewaschen, kollegen hätten frisch- luft geschnappt, sie hätten red bull getrunken, auch kaffee verhindere in gewisser weise den schlaf, er schaffe das ohne. er brauche das nicht. er könne mittlerweile trinken, was er wolle, er merke das nicht mehr. die online-redakteurin: alleine der alkohol halte einen wach. sie habe es ja schon eingangs erwähnt. hier ein sektchen, da ein sektchen, da werde kein unterschied gemacht: ein sekt- chen gebe es überall. und die folge davon sei ein ständig aufgekratzter zustand. und sonst? sie glaube, das sei wie bei den delphinen, „irgendein teil bleibt immer in dir wach, damit die atmung funktioniert, damit die Ÿüssigkeit, die dich notwendigerweise umgibt, nicht die oberhand gewinnt. ja, von irgendwo muß sauerstoff her, aber es gibt auch eine atmung in dir, die gibt sich mit sauerstoff alleine nicht zufrieden.“ der partner: wie lange er schon auf den beinen sei? könne er jetzt nicht sagen, er wisse das längst nicht mehr. also er zähle die stunden jetzt nicht, und von tagen könne man hier in diesem rahmen nun wirklich nicht mehr sprechen. die key account managerin: „also ich emˆnd’s nicht als belastend.“ der senior associate: trotzdem würde er sagen: ein adrenalinjunkie sei er nicht – die key account managerin: „also ich komme damit klar.“ die key account managerin: nein, man habe sich nicht abgesprochen, so was ergebe sich eher. „ich meine, das ist ja klar“, daß man sich so gegenseitig in stimmungen hochputsche, man halte sich eben gegenseitig wach. aber das laufe ganz subkutan ab, das sei jetzt nicht so ge- plant, das sei die logik, in die man sich begebe, wenn man auf eine messe wie diese hier gehe. ✽ Nur zu Prüfzwecken – Eigentu des Verlags öbv

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