Killinger Literaturkunde, Schulbuch

369 25 30 35 hörte dann ebenso plötzlich, mitten im Satz, wieder auf. Über eine halbe Stunde hatte er sich vorher draußen auf dem Klo eingesperrt, weil er sich beweisen wollte, dass er nieman- dem abgeht. Er hatte trotzdem die ganze Zeit, während er auf der Muschel hockte, gehofft, dass man ihn suchen würde, aber als er dann freiwillig ins Extrazimmer zurückgegangen war, hatte man ihn nicht einmal gefragt, wo er so lange gewesen war. Ich hab keine Ahnung, sagt Melzer, was ich mir damals vorgestellt hab, man glaubt halt so allerhand, wenn man noch nicht drin steckt, wennst den Scherm noch nicht auf hast, man hat ja von nichts eine Ahnung, sagt er, mit dem Alter hat man ja sowieso nur eins im Schädel, am liebsten wär man ein Kuhschweif, der was den ganzen Tag auf der Pritschen liegen kann. Und da stellst dir halt so was vor, so was Klasses wie im Kino, und glaubst, das kannst auch haben, und warum denn eigentlich nicht, ein fescher Zapfen ist man ja und einen guten Schmäh hat man auch, auf was halt die Weiber stehen, und dann probierst eine nach der anderen aus, weil halt keine die Richtige ist, und manchmal glaubst du wirklich, das ist sie jetzt, die große Liebe, wie man da sagt, aber so, wie man sich das vorgestellt hat, ist es halt überhaupt nie. 57. Untersuchen Sie die Eindrücke des Protagonisten Melzer auf dessen Hochzeitsfeier: • Kommentieren Sie, wie sich Melzer auf seiner Hochzeitsfeier fühlt und worunter er leidet. • Beurteilen Sie, worin die Realistik des Romans liegt. • Erläutern Sie, warum die Schrifttype wechselt. • Illustrieren Sie, welche Sprachformen eingesetzt werden. Eine deftige Parodie auf den Heimatroman ist dem Weststeirer Reinhard P. Gruber (geb. 1947) gelungen. In seinem Werk Aus dem Leben Hödlmosers. Ein steirischer Roman mit Regie (1973) verwendet Gruber verschiedene Vefahrensweisen, z. B. eine pseudowissenschaftliche Sprache mit „Excursen, Definitionen, typologischen Gliederungen, psychoanalytischen Deutungen“ u. a. Die Schreibweise und Wortwahl Grubers ist ein Beispiel für die Verfremdung. Darunter versteht man die bewusste Durchbrechung literarischer Gewohnheiten. Der Autor erzielt mit dem Verfremdungs- effekt besondere Aufmerksamkeit und satirische Wirkung. 1 5 10 der steireranzug „an seinem anzug magst du den steirer erkennen.“ peter rosegger neben anderen merkmalen unterscheidet den steirer vom anderen menschen der steireranzug. er ist so HERRLICH wie sein land. der steireranzug hat vor allem für den anderen menschen große bedeutung; an ihm erkennt er den steirer. es ist zwar zuzugeben, dass der steirer seinen siegeszug durch die welt mit dem steireranzug an seinem STEIRISCHEN KÖRPER angetreten hat – deswegen hat schließlich auch der stei- reranzug seinen siegeszug durch die welt angetreten –, doch ist der steireranzug heute schon so profaniert 1 worden, dass er ohne allgemeine rechtsfolgen auch schon von nichtsteirern getragen werden darf. sogar bei der letztjährigen sozialistischen internationale soll er schon gesehen worden sein. vor dem betreten der steiermark durch nicht-steirische typen, deren körper vom steireranzug bedeckt wird, ist jedoch abzuraten. […] Wechsel der Perspektive Verfremdung 1 profanieren: entweihen, entwürdigen cy5e6y DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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