Killinger Literaturkunde, Schulbuch

365 54. Untersuchen Sie diese Eindrücke aus dem alltäglichen Leben: • Analysieren Sie die Perspektive, aus der dieser Text geschrieben ist. • Kommentieren Sie Auffälligkeiten am Satzbau. • Beurteilen Sie den Zusammenhang der Sätze (die Kohärenz des Textes). • Erläutern Sie, welchen Zweck ein derartiger Text erfüllt. 1 5 10 Alois Brandstetter Verunklimpfung der Zither (1971) Die Zither ist ein rührseliges Instrument. Das Spielen der Zither heißt in der musikalischen Fachsprache Verunklimpfung. Der Kasten ist aus Zeder, einem widerstrebenden Holz oberhalb der Baumgrenze. Beim Spielen der Zither bilden die Finger der rechten Hand mit den Saiten ein Gitter. Die linke Hand vibriert am Steg. Das Tremolo ahmt Tirol nach. Der Spieler sitzt fest auf einer ledernen Hose. Wie die Harfe gilt auch die Zither als seraphisch. 1 Es gibt einerseits schlechte Zitherspieler und gute. Die guten teilt man in Virtuosen ein. Gämsen kommen der Zither entgegen. Auch Wildschützen besitzen den unverkennbaren Ton. Die Zither ist hoch und klingt im alpenländischen Menschen nach. Die Zither ist ein Abbild der Riste. Der Bergbauer zupft das Heu aus der Erde, hängt es über lange Drähte in die schneidige Zugluft und entzieht es so der Feuchtigkeit. Ein Kirtag ohne Zither ist wie eine Zither ohne Kirtag. Beim Stimmen muss man noch nicht aufpassen. Der Gämsbart am Hut des Spielers ist lustig und zittert im Takt mit. Auch die Schuhsohlen sind gewichst. Die Plattler juchzen und Ÿitzen über die gewachste Diele. Das Zentrum der Zither ist Imst. Sie zieht sich aber bis München hin. Parodie Unter Parodie versteht man die inhaltliche und stilistische Nachahmung eines Textes oder einer Textsorte. Die Komik entsteht durch Überzeichnung von Formmerkmalen und durch das – be- wusst herbeigeführte – Auseinanderbrechen von scheinbarer Absicht und Wirkung. 55. Beobachten Sie, wie Brandstetter hier eine geläufige Textsorte parodiert: • Bestimmen Sie die Textsorte. • Nennen Sie Verstöße gegen die Semantik und Syntax. • Kommentieren Sie die Wortspiele und Neubildungen (Neologismen), z. B. „Verunklimpfung“. In der nächsten Generation finden sich einige Autorinnen und Autoren, die zwar auch politisch und kritisch schreiben, aber mit viel Humor und Witz. Einer von ihnen ist Egyd Gstättner (geb. 1962). Kennzeichnend für Gstättner und andere zeitgenössische Autoren ist die Unklarheit über die Er- zählerfigur. Während man in Brandstetters Kurzprosa eine Erzählerfigur erkennt, die sich eindeutig vom Autor unterscheidet, wirken Gstättners Geschichten wie selbst Erlebtes. Die Grenze zwischen fiktionaler Handlung und Erlebnisbericht schwindet. In der kurzen Geschichte Servus in Überösterreich (1994) soll ein Schriftsteller für ein internatio- nal angesehenes Reisemagazin einen Bericht über Oberösterreich verfassen. Ein Tourismusmanager führt ihn in die Zentren des Fremdenverkehrs. Die andere Heimatdichtung Satirische Kurzprosa 1 seraphisch: engelsgleich d8j4bw DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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