Killinger Literaturkunde, Schulbuch

344 10 15 gesagt hat, und du reagierst jetzt so drauf – das kapiert der nicht. Je berühmter sie sind, desto dümmer sind sie. Bei der Generalprobe ist das ganze Stück umgestoßen worden. Da hat’s also geheißen: Die Soldaten nicht von rechts, sondern von links herein, und da war das totale Chaos hergestellt. Den haben die Nerven verlassen bei der Generalprobe, und die Premiere war im Grund halt gar nichts. Aber in der Felsenreitschule [Spielort der Salzbur- ger Festspiele, Anm.] und dieser ganze Sternenhimmel, da sehen die Leute ja von Kunst eh nichts, da können S’ ja machen, was Sie wollen, wenn nur die Rüstungen lieb ausschauen und irgendwas gesagt wird. Was gesagt wird, ist gleich, es muss nur möglichst hohl und deutlich und bombastisch g’sagt werden. Dann können S’ drei Stunden ausfüllen. Und beim Applaus, weiß ich noch, dass der Werner Krauss sich in einem Trenchcoat und mit einer Aktentasche verneigt hat, weil draußen schon das Taxi gewartet hat, das ihn zum Flugplatz brachte, weil er in Hamburg in der Nacht Filmaufnahmen hatte. Da hab’ ich mir gedacht, schau, das ist die große Theaterwelt. Das war in den fünfziger Jahren. 41. Vergleichen Sie die Aussagen Bernhards mit denen seiner dramatischen Figuren: • Untersuchen Sie, inwiefern Bernhards Aussagen denen seiner Figuren ähnlich sind. • Kommentieren Sie die verwendeten sprachlichen Strukturen. Ende der 1980-er, Anfang der 1990-er Jahre setzte sich im ganzen deutschen Sprachraum der Gra- zer Dramatiker Werner Schwab (1958 – 1994) durch. Sein ganzes Werk ist aus dem Ekel vor der Welt geboren. Der Titel seines „Theaterzernichtungslustspiels“ drückt sein Streben aus: Endlich tot, endlich keine Luft mehr. Der Kritiker Helmut Schrödl urteilt in der Wochenzeitung Die Zeit so: 1 5 Es ist, als hätten sich die Müllhalden erhoben und gekreißt 1 . Dabei könnten Schwabs Figuren entstanden sein, die gut in unsere Landschaft passen: zu den toten Flüssen, der stinkenden Luft, der Tschernobylwelt 2 . Die Seelen sind verrostet, die Köpfe ausgeschlachtet, die Körper zerbeult. Was man Schwab als Lebensekel vorhält, ist ein neurotisch geschärfter Realitätssinn. Wo die anderen wegschauen, schaut Schwab hin. Was man nicht sagt, spricht er aus. Sein Stück Mesalliance 3 (Uraufführung 1992 in Graz) enthält einen gewissen Humor in der Dialog- führung und zeigt seine für alle Stücke kennzeichnende Sprache: 1 5 ERSTER AKT (Im Garten des Familienhauses der Familie Pestalozzi. Herr und Frau Pestalozzi in Bade- hose und Badeanzug. Herr Pestalozzi korrigiert auf einem Gartentischchen Hefte, Frau Pestalozzi topft fanatisch Blumen um.) FRAU PESTALOZZI: Der übermorgige Tag beherbergt den Geburtstag von Johannes und Johanna 4 . Ein Fest steht an wie ein fälliger Wechsel. Die frühgeburtige Hitze dieses Som- mers geht wieder hässlich um mit dem meinigen Erscheinungsmenschen. Meine Falten mu- Ausdruck des Ekels 1 kreißen: in Geburtswehen liegen, gebären 2 Tschernobylwelt: Tschernobyl, ukrainische Stadt, in deren Nähe sich im Jahr 1986 eine der schwersten Nuklearkatastrophen seit Beginn der Nutzung von Atomenergie ereignet hat 3 Mesalliance: nicht standesgemäße Ehe zwischen Partnern aus verschiedenen Gesellschaftsschichten 4 Johannes und Johanna: die Kinder der Pestalozzis (Zwillinge) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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