Killinger Literaturkunde, Schulbuch

340 DAs THEATER DER posTMoDERnE Das postmoderne Drama ist durch eine Abkehr von traditionellen Mustern und deren Auflösung gekennzeichnet. Die Figuren sind keine Helden, die sich in ihren Entscheidungen einer moralischen Kategorisierung stellen, sondern sind in ihrer Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt, leiden unter Geschichtslosigkeit und sind ihrem Schicksal ohnmächtig ausgeliefert. Die szenische Ordnung weicht einer Reihe von gleichberechtigten Bildern. Der Text ist neben Musik und visuellen Elementen, Tanz und Gestik nur noch eine Teilkomponente der Darstellung. Häufig werden multimediale Elemente eingesetzt (z. B. Videos), deren Projektionsfläche die Bühne wird. Die „Handlung“, die bisher in Monolog und Dialog linear entwickelt wurde, wird durch sprachlich, klanglich und visuell gestaltete Bilder ersetzt, die ihre Wirkung erst im Spiel entfalten. Typische Vertreter dieser Strömung sind Thomas Bernhard (1931 – 1989), Botho Strauß (geb. 1944) und Peter Handke. Das dramatische Gedicht Über die Dörfer (1982) von Peter Handke ist kein Drama im üblichen Sinn, sondern ein eher statisches Weihespiel mit klassischen Zügen. Der Bauarbeiter Hans sieht keine an- dere Zukunft für den Menschen als einen totalen Krieg: 1 Es ist ein Triumph, verloren zu gehen. Hört die Laute des krepierenden Hundes. Sein richti- ger Name ist „Langes Ende“, und sein Tauf-Name soll vergessen werden. Endlich das Wort: es heißt „Krieg“, es war das Wort am Anfang, und es soll das Schlusswort sein. Welch eine Begeisterung, für immer unversöhnlich zu sein. Soll alles zugrunde gehen. Sein Bruder Georg, von dem die Schwester sagt: „Du siehst sofort jedes Elend“, erklärt: Die Welt widert mich an. Es ist nicht schade um mich. Es ist nicht schade um uns Menschen [...] Wir haben alle diesen Platz verspielt. Sophie, die Schwester, antwortet ihm: Kein Schimmer Trost für jemanden, der ist, wie du bist: der einem anderen die Freude an sich selber nimmt, und der das Böseste vom Bösen tut: der einem Kind im Namen eines Wahnweltbilds die Zukunft stiehlt. Nova, eine Art Verkündigungsengel, spricht zuletzt eine Heilsbotschaft, worin der Mensch aufgefor- dert wird, zu wirken, sich am Positiven zu orientieren und an der Natur zu genesen: 1 5 Tretet in den Moment der aufgehenden Sonne, die euer Maß sein wird: nichts als „die Sonne und ihr“, und die Sonne euer Weiterwinker: die Sonne, sie hilft. Die Natur ist das einzige, was ich euch versprechen kann – das einzig stichhaltige Versprechen. In ihr ist nichts „aus“, wie in der bloßen Spielwelt, wo dann gefragt werden muss: „Und was jetzt?“ Sie kann freilich weder ZuŸuchtsort noch Ausweg sein. Aber sie ist das Vorbild und gibt das Maß: dieses muss nur täglich genommen werden. [...] Wer sagt, dass das Scheitern notwen- dig ist? Überhört den Schluckauf der Sterbenden: sie lügen. Denkt nach: habt ihr euren Nur zu Prüfzwecken – Eigentu des Verlags öbv

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