Killinger Literaturkunde, Schulbuch

337 10 15 20 25 30 EVA: Wenn man aber die Liebe erleben darf, sind alle Schatten verŸogen und nur mehr die Liebe ist da. ARBEITERIN: Man müßte mehr auf sich aufmerksam machen ... EVA: Wenn wir uns etwa ins Zuschneidemesser stürzten oder uns von der Krempelmaschi- ne 1 beziehungsweise dem Reißwolf in Stücke hacken ließen ... ARBEITERIN: Nur dürften wir uns nicht allzu sehr verstümmeln. Ein Rest der Weiblichkeit müßte gewahrt bleiben. ARBEITERIN: Daß wir geschlagen werden, tröstet unsre Männer darüber hinweg, daß wir sie über die Zustände nicht hinwegzutrösten vermögen. ARBEITERIN: Es ist keiner so niedrig, daß er nicht noch etwas Niedrigeres hätte: seine Frau. WEYGANG laut : Mit dem Stand der Ehe steht und fällt das Gemeinwesen. HERR: Die einen sind die Hüterinnen unseres Hauswesens und werden wiederum von uns strengstens gehütet, die anderen sind gar nichts. WEYGANG: Der Mann hat eine Begierde und einen Trieb. Die Frau ist Gegenstand des Triebes. Die Frau reizt und läßt den Trieb sich an ihr befriedigen. HERR: In der Erotik kann ein Mann stark anarchische Gedanken ausleben. Der Mann wird von deren Illegalität fasziniert und enthemmt. WEYGANG: Ein Mann kann auch oft über die bürgerliche Moral siegen, vorausgesetzt, er gehört überhaupt der bürgerlichen Klasse an. HERR: Der Mann siegt durch Zerstörung, Kampf, Raub und Gewalt über die bürgerliche Moral. WEYGANG: Unser Trieb kann sogar durch den Kopf der Frau gereizt werden. Den Mann reizt es in Wirklichkeit noch mehr, diesen kleinen Kopf ebenfalls zu unterwerfen. HERR: In der Wirtschaft und mit Hilfe der Wirtschaft geht es um das Überleben. WEYGANG: Die Frau hat als Subjekt keinen Anteil an revolutionären Gedanken und Aktionen. Das bedeutet in der Praxis zum Glück, daß mindestens die Hälfte der Menschheit wegfällt, wenn es um umstürzlerische Akte geht. Die Männer sehen Nora als ein verschiebbares Objekt in ihrem Spiel um Kapital. Sie macht sich jedoch die sexuelle Abhängigkeit der Männer zunutze. Höhepunkt des Geschehens ist die Auspeit- schung ihres Exmannes Helmer. Der folgende Ausschnitt aus der 8. Szene zeigt die Vermischung von Politik, Geschäft und Sex. Der Unternehmer und Liebhaber Noras, Weygang, unterhält sich in seinem Herrenzimmer mit dem Minister: 1 5 MINISTER: Nora lebt nun schon seit einigen Monaten in Ihrem Haus, lieber Fritz, und die Zeit konnte ihrer Schönheit noch nichts anhaben. WEYGANG: Was Frauen betrifft, zählt für mich, ausgehend davon, daß sie leicht verderb- liche Ware darstellen, Qualität vor Quantität. MINISTER: Wenn man jedoch bedenkt, wie rasch Sie Ihren Bestand auszutauschen bezie- hungsweise zu ergänzen pŸegen, kommt man beim Rechnen doch auf eine gewisse Quan- tität. WEYGANG: Und was sagen Sie zu Noras Körper, lieber Minister? Frau als Objekt 1 Krempelmaschine: Webereimaschine, die Wolle zu feinem Vlies kämmt 4b26x8 DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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