Killinger Literaturkunde, Schulbuch

336 25 30 35 Lebe wohl, Torvald! Die Kleinen will ich nicht erst sehen. Ich weiß, sie sind in besseren Händen als den meinen. So, wie ich jetzt bin, kann ich ihnen nichts sein. HELMER: Aber später, Nora – später –? NORA: Wie kann ich das wissen? Ich weiß ja gar nicht, was aus mir wird. HELMER: Aber du bist meine Frau, nicht bloß jetzt, sondern auch – NORA: Höre, Torvald! – Wenn eine Frau die Wohnung ihres Mannes verlässt, so wie ich es jetzt tue, dann ist er, wie ich gehört habe, nach dem Gesetz von allen VerpŸichtungen gegen sie frei. Jedenfalls entbinde ich dich von allen VerpŸichtungen. Du sollst dich durch nichts gebunden fühlen, ebensowenig wie ich gebunden sein will. Auf beiden Seiten muss volle Freiheit herrschen. Da, hier hast du deinen Ring zurück. Gib mir den meinen. HELMER: Auch das? NORA: Das auch. HELMER: Hier ist er. 37. Untersuchen Sie das Verhältnis Noras zu ihrem Ehemann: • Beschreiben Sie, wie sich Helmer seiner Frau gegenüber verhält. • Erläutern Sie, was sie ihm vorwirft und was der Grund ihrer Trennung ist. • Versuchen Sie, die enorme Wirkung des Stückes aus heutiger Sicht zu erklären. Ibsens Stück wurde 1879 in Kopenhagen uraufgeführt und war eine Sensation. Seither ist die Frau- enfrage auf der Bühne nicht mehr verstummt. Genau hundert Jahre später, 1979, wurde das Stück Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft (1977) von Elfriede Jelinek in Graz uraufgeführt. Elfriede Jelinek wurde 1946 in Mürzzuschlag geboren. Sie bekennt sich zum Kommunismus und zum Feminismus. Alle ihre dramatischen und erzählenden Werke sind Kritik am Kapitalismus und an der Herrschaft des Mannes über die Frau. In Jelineks Stück stellt sich Nora zu Beginn so vor: Ich bin keine Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde, sondern eine, die selbsttätig ver- ließ, was seltener ist. Ich bin Nora aus dem gleichnamigen Stück von Ibsen. Im Augenblick Ÿüchte ich aus einer verwirrten Gemütslage in einen Beruf. Die dramatischen Personen verkörpern aber keine Individuen wie bei Ibsen. Arbeiterinnen, Manager und Fabrikanten sprechen eine künstliche Sprache und beziehen gesellschaftskritische und feminis- tische Positionen. Die 7. Szene spielt in einer Fabrik. Die Arbeiterinnen sitzen an ihren Maschinen und „schauarbeiten“ demonstrativ für die Gruppe der Besichtiger. Die beiden Gruppen wechseln sich in den Dialogen ab: 1 5 EVA leise : Etwas wirft seinen Schatten voraus. Es ist möglicherweise der Schatten der Spe- kulation. ARBEITERIN: Oft bin ich müde und abgespannt, daß ich weder lesen noch schreiben kann. Aber welcher Unternehmer fragt auch nach Geist und Wissen der Arbeiterin? ARBEITERIN: Und doch sehne ich mich, trotz Arbeit, ein Mensch zu sein, und als solcher zu leben. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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