Killinger Literaturkunde, Schulbuch

332 wIEDERBELEBung DEs voLkssTÜcks Die wiederbelebte Tradition des Volksstückes schließt an die Zwischenkriegszeit an. Die Texte sind getragen von Kritik am Umgang der Menschen untereinander. Neben Gesellschaftskritik werden auch die mangelnde sprachliche Ausdrucksfähigkeit der Personen, ihre Sprachlosigkeit und ihre Un- fähigkeit, Probleme zu lösen, thematisiert. Vertreter des neuen Volksstücks sind: Franz Xaver Kroetz (geb. 1946): Weitere Aussichten (1975), Das Nest (1975), Nicht Fisch, nicht Fleisch (1981), Bauern sterben (1985), Der verkaufte Großvater (1998) u. a. Martin Sperr (1944 – 2002): Jagdszenen aus Niederbayern (1966) Peter Turrini (geb. 1944): rozznjogd (1971), sauschlachten (1972), Alpensaga (sechsteilige Fern- sehserie, 1974 – 1979), Josef und Maria (1980), Tod und Teufel (1990), Eine Liebe in Madagaskar (1998), Jedem das Seine (2007) u. a. Felix Mitterer (geb. 1948): Kein Platz für Idioten (1977), Veränderungen (1979), Stigma (1982), Sibirien (1989), Die Piefke-Saga (Fernsehserie, 1991), Die Beichte (2004), 1809 – Mein bestes Jahr (2009) u. a. Der Bayer Franz Xaver Kroetz stellt in meist kurzen Szenen kennzeichnende Situationen aus dem Alltag kleiner Leute dar. Dabei werden die Verständnislosigkeit der Menschen füreinander, ihre man- gelhafte Fähigkeit, Konflikte mit Worten auszutragen, ihre seelische Verkrüppelung und zunehmen- de Verspießerung aufgezeigt. Die Männer drücken sich aus Sorge um ihren Arbeitsplatz vor der Solidarität mit den Kollegen dem Arbeitgeber gegenüber und scheitern häufig im Familienleben. Im Stück Mensch Meier (1977) zeigt Kroetz drei Personen, Otto und Martha, ein Ehepaar, und deren 15-jährigen Sohn Ludwig, der gern spät aufsteht und meist seinen Kassettenrekorder laufen hat. Otto und Martha waren im Supermarkt einkaufen. Erst an der Kasse hat Martha entdeckt, dass in ihrer Geldbörse 50 Mark fehlen. Sie konnten den Einkauf nicht bezahlen und genierten sich des- wegen sehr. Die nächste Szene spielt zu Hause in der Küche. 1 5 10 15 MARTHA weint . OTTO starrt seinen Sohn an . OTTO: Des muasst biassn! MARTHA schaut . OTTO nickt . MARTHA: Was glaubst, wie mir blamiert warn. Schrecklich. OTTO nickt : Das tust du deinen Eltern an. Gibt ihm eine Ohrfeige. LUDWIG steckt ein, starrt vor sich hin, reagiert nicht . OTTO unmotiviert : Eine Antwort will ich. Wo hast es versteckt, die fünfzig Mark, wost gstohln hast? LUDWIG schaut, sagt nichts . MARTHA: Gibs zurück, was man gstohln hat, muss man zurückgebn, sonst macht man es noch schlimmer. LUDWIG schaut . OTTO: Das werdn mir gleich habn, den „Täter überführn“! Springt auf und rennt ins Wohnzimmer, geht zur Bettcouch, wirft sie auf, schmeißt alles durcheinander, sucht, ‡ndet nichts, kommt zurück. Gib die fünfzig Mark zurück, sonst gibt es ein Unglück. MARTHA: Otto! Banalität im Alltag Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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