Killinger Literaturkunde, Schulbuch

316 14 16 18 20 22 Du hast mich ins Fröhliche verwandelt und strahlend gemacht und ich erkenne dass die schöne Erde bespannt ist mit deiner Haut und dein Mund ist ein römischer Brunnen-Mund 1 und ich kann meine Hand in seine Ÿießenden Segnungen legen und dein Auge von dem ich nie weiß welche Farbe es hat (ist es honiggelb oder blau wie Nächte im Frühling?) ist ein Bullauge geworden in einem weißen Schiff ein Bullauge groß und bekränzt mit Meer-Rosen und mit diesem weißen Schiff fahren wir weit ... 21. Untersuchen Sie die Beziehung, die dieses Gedicht Mayröckers beschreibt: • Diskutieren Sie, welche Aspekte der Beziehung in dem Text dargestellt werden. • Analysieren Sie, mit welchen sprachlichen Mitteln diese Inhalte vermittelt werden. DIE LyRIk DER posTMoDERnE In den Jahren nach 1975 erkannten die Schriftsteller/innen, dass sie mit ihren gesellschaftskritischen, tagespolitisch engagierten Gedichten rein gar nichts verändern oder bewegen konnten. Auch die Neigung zu experimentellen und sprachspielerischen Texten schwand. Das Pendel schlug in die Gegenrichtung aus: Die Autorinnen und Autoren entdeckten den einzelnen Menschen, das Private und Intime, sich selbst. In einem Gedicht der einst so aktivistischen Gabriele Wohmann (geb. 1932) heißt es: Bei meinem Versuch, nach etwas Belangvollem Ausschau zu halten, mich den wahren Sor- gen der Menschheit zuzuwenden und von mir abzusehen, bin ich auf mich gestoßen. Hinwendung zum Ich 1 Römischer Brunnen-Mund (Bocca della Verità): Relief in der römischen Kirche Santa Maria in Cosmedin. Einer mittelalter- lichen Legende nach verliert jeder seine Hand, der sie in den Mund des Reliefs legt und dabei nicht die Wahrheit sagt. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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