Killinger Literaturkunde, Schulbuch

294 14 16 18 20 Wer läutet draußen an der Tür? Leg du die Betten aus. Der Hausbesorger war’s; wir solln am Ersten aus dem Haus. Wer läutet draußen an der Tür? Die Fuchsien blühn so nah. Pack, Liebste, mir mein Waschzeug ein und wein nicht: sie sind da. 17. Erläutern Sie, wie die Situation der Festnahme hier – schrittweise aufgebaut – dargestellt wird: • Stellen Sie Vermutungen an, wer das lyrische Ich in diesem Gedicht ist und in welcher Situati- on sich er/sie hier befindet. • Analysieren Sie, mit welchen Mitteln Angst ausgedrückt wird. • Kommentieren Sie, welche Wendung sich am Schluss ergibt und wie die Entwicklung über die einzelnen Strophen darauf hindeutet. Anna Seghers (1900 – 1983), eigentlich Netty Radvanyi, geb. Reiling, war auf Grund ihrer marxisti- schen Einstellung schon 1933 aus Deutschland nach Frankreich geflohen. Später emigrierte sie nach Mexiko, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen. Ihr Roman Das siebte Kreuz (abgeschlossen 1939) erzählt von sieben Häftlingen, die aus einem Kon- zentrationslager entfliehen. Einer der Flüchtlinge, Georg Heisler, die Hauptfigur des Textes, erlebt die Verfolgung in den verschiedensten Ausformungen. Schließlich gelingt ihm als einzigem die Flucht. Die anderen Flüchtlinge werden entweder gefangen oder kommen ums Leben. Die Einlieferung von Heislers Fluchtgefährten Wallau, der die Flucht geplant hatte, löst unter den Mithäftlingen Bestürzung aus. 1 5 10 15 Später erzählte einer von diesem Morgen: „Auf uns Gefangene machte die Einlieferung Wallaus ungefähr einen solchen Eindruck wie der Sturz Barcelonas oder der Einzug Francos in Madrid oder ein ähnliches Ereignis, aus dem hervorzugehen scheint, daß der Feind alle Macht der Erde für sich hat. Die Flucht der sieben Leute hatte für alle Gefangenen die furchtbarsten Folgen. Trotzdem ertrugen sie den Entzug von Nahrung und Schlafdecken, die verschärfte Zwangsarbeit, die stundenlangen Verhöre unter Schlägen und Drohungen mit Gelassenheit, ja zuweilen mit Spott. Unser Gefühl, das wir nicht verbergen konnten, reizte die Peiniger noch mehr. So stark empfanden die meisten von uns diese Flüchtlinge als einen Teil von uns selbst, daß es uns war, als seien sie von uns ausgeschickt. Obgleich wir nichts von dem Plan gewußt hatten, kam es uns vor, etwas Seltenes sei uns gelungen. Vielen von uns war der Feind allmächtig vorgekommen. Während die Starken sich ruhig einmal ir- ren können, ohne etwas zu verlieren, weil selbst die mächtigsten Menschen noch Menschen sind – ja sogar ihre Irrtümer machen sie nur noch menschlicher –, darf sich, wer sich als All- macht aufspielt, niemals irren, weil es entweder Allmacht ist oder gar nichts. Wenn ein noch so winziger Streich gelang gegen die Allmacht des Feindes, dann war schon alles gelungen. Dieses Gefühl schlug in Schrecken um, ja bald in Verzwei ung, als man einen nach dem andern einbrachte, verhältnismäßig rasch, und, wie es uns vorkam, mit einer höhnischen Mühelosigkeit. In den zwei ersten Tagen und Nächten hatten wir uns gefragt, ob sie Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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