Killinger Literaturkunde, Schulbuch

293 L I TERATuR ZuR ZEI T DEs nAT IonALsoZ IAL I sMus Seit 1933 stand der Literaturbetrieb in Deutschland unter dem direkten Einfluss der Nationalsozialis- ten (in Österreich ab 1938). Die von ihnen bevorzugte Literatur war rückwärtsgewandt, thematisch an der Hinwendung zu Heimat und Vaterland orientiert („Blut und Boden“). Moderne Strömungen wurden ebenso abgelehnt wie ideologisch andersdenkende Autorinnen und Autoren und Schrift- steller/innen jüdischer Herkunft. Publikationen waren an die Zustimmung der Reichsschrifttumskammer gebunden, die dem Propa- gandaministerium unterstand und womit das Regime beliebig Zensur ausüben und seine rassistisch geprägte Politik der Verfolgung ausführen konnte. Literatur und Kunst hatten sich der nationalsozi- alistischen Propaganda und Ideologie unterzuordnen. Das öffentliche Klima hatte sich schon seit den 1920-er Jahren verschärft, sodass sich bereits vor 1933 viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller gezwungen sah, ins Exil zu gehen. Andere zogen es vor, das Land zu verlassen, da sie mit den politischen Entwicklungen nicht einverstanden waren. Die Zeit im Exil wurde durchaus unterschiedlich erlebt: Während es manchen gelang, im Ausland Fuß zu fassen, wie etwa Thomas (1875 – 1955) und Klaus Mann (1906 – 1949), Carl Zuckmayer (1896 – 1977), Bert Brecht (1898 – 1956), Franz Werfel (1890 – 1945) in den USA, Erich Fried (1921 – 1988), Theodor Kramer (1897 – 1958) in Großbritannien, Anna Seghers (1900 – 1983) in Mexiko etc., scheiterten andere an den Gegebenheiten und der Einschränkung ihrer Freiheit. Teilweise sahen sie keinen anderen Ausweg als Selbstmord, u. a. Stefan Zweig (1881 – 1942), Kurt Tucholsky (1890 – 1935), Walter Benjamin (1892 – 1940). Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kam es zur direkten Verfolgung aus ras- sistischen und politischen Gründen. Im Mai 1933 wurden im ganzen Land öffentliche Bücherver- brennungen organisiert, bei denen Werke jüdischer Schriftsteller/innen und solcher, die dem Regime ablehnend gegenüberstanden, vernichtet wurden. Eine Reihe von Autorinnen und Autoren kam in Konzentrationslagern und Gefängnissen um, z. B. Jura Soyfer (1912 – 1939). Im folgenden Gedicht schildert Theodor Kramer (1897 – 1958), wie die Situation von de Betroffenen empfunden wurde. 2 4 6 8 10 12 Theodor Kramer Wer läutet draußen an der Tür? (1939) Wer läutet draußen an der Tür, kaum daß es sich erhellt? Ich geh schon, Schatz. Der Bub hat nur die Semmeln hingestellt. Wer läutet draußen an der Tür? Bleib nur; ich geh, mein Kind. Es war ein Mann, der fragte an beim Nachbar, wer wir sind. Wer läutet draußen an der Tür? Laß ruhig die Wanne voll. Die Post war da; der Brief ist nicht dabei, der kommen soll. Exilliteratur Verfolgung iu8j7y DIE ZEIT ZWISCHEN DEN KRIEGEN – NEUE SACHLICHKEIT | 1920 – 1945 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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