Killinger Literaturkunde, Schulbuch

274 Bertolt Brecht Der Augsburger Bertolt Brecht (1898 – 1956) nannte seine Dramatik „episches Theater“, weil sich das Drama wie ein Roman über Räume und Zeiten erstreckt und Einblick in ein vielschichtiges Ge- schehen gibt. Er war besonders an der Wechselwirkung zwischen den Schauspielerinnen und Schau- spielern und dem Publikum interessiert und äußerte sich kritisch zum traditionellen Drama: Ein Theater ohne Kontakt mit dem Publikum ist ein Nonsens. Unser Theater ist also ein Nonsens. (Brecht, 1926) Das epische Theater Brechts orientiert sich an einem anderen Publikum. Das Theater muß als Theater jene faszinierende Realität bekommen, [die] der Sportpalast hat, in dem geboxt wird. (Brecht, 1926) Brecht ist der Auffassung, dass die Welt veränderbar sei und dass Verhältnisse geschaffen werden könnten, in denen es möglich ist, gut zu sein und dennoch gut zu leben. Brechts Theater wird zu einer „paradigmatischen Anstalt“ 1 , die einen „Fall“ vorbringt und damit nach Brechts Worten einen „vergnüglichen Lernprozess“ einleitet. Erlernt werden sollen die Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge und die Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderungen im Sinn des Marxismus. In den Anmerkungen zur Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (1930) stellt Brecht Merk- male des epischen Theaters solchen des aristotelischen Theaters gegenüber. Dramatische Form des Theaters Epische Form des Theaters Die Bühne „verkörpert“ einen Vorgang verwickelt den Zuschauer in eine Aktion und verbraucht seine Aktivität ermöglicht ihm Gefühle vermittelt ihm Erlebnisse der Zuschauer wird in eine Handlung hineinversetzt es wird mit Suggestion gearbeitet Spannung auf den Ausgang eine Szene für die andere die Geschehnisse verlaufen linear das Denken bestimmt das Sein sie erzählt ihn macht ihn zum Betrachter aber weckt seine Aktivität erzwingt von ihm Entscheidungen vermittelt ihm Kenntnisse er wird ihr gegenübergesetzt es wird mit Argumenten gearbeitet Spannung auf den Gang jede Szene für sich in Kurven das gesellschaftliche Sein bestimmt das Denken Die Zuschauer/innen im traditionellen Theater sind in der Regel auf passives und unkritisches Hin- nehmen des Dargebotenen, auf Unterhaltung eingestellt. Brecht versucht deswegen, die Theaterbe- sucher/innen durch seine Technik der Verfremdung des Vertrauten zu überraschen und aufzuschre- cken. Der Verfremdungseffekt besteht darin, dass Selbstverständliches und Gewohntes zu etwas Ungewohntem umgeformt werden. Bei der Aufführung seines zweiten Stücks ( Trommeln in der Nacht ) wollte Brecht die festlich-feierliche Atmosphäre, die zu Beginn eines Theaterabends herrscht, zerstören, indem er Spruchbänder mit Texten wie „Glotzt nicht so romantisch“ im Zuschauerraum aufhängen ließ. Einbeziehung des Publikums Identifikation vs. Verfremdung 1 Paradigma: Beispiel, Muster Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=