Killinger Literaturkunde, Schulbuch

273 20 25 hocherhobener Rechten in den Weg. Seine Geste blieb wirkungslos: der Justizpalast brannte . Die Polizei erhielt Schießbefehl, es gab neunzig Tote. Es sind 53 Jahre her, und die Erregung dieses Tages liegt mir heute noch in den Knochen. Es ist das Nächste zu einer Revolution, was ich am eigenen Leib erlebt habe. Seither weiß ich ganz genau, ich müßte kein Wort darüber lesen, wie es beim Sturm auf die Bastille zuging. Ich wurde zu einem Teil der Masse, ich ging vollkommen in ihr auf, ich spürte nicht den leisesten Widerstand gegen das, was sie unternahm. 1. Beobachten Sie, wie Canetti hier die Geschehnisse aus seiner persönlichen Erfahrung schildert: • Erläutern Sie, welche Aspekte ihm besonders in Erinnerung geblieben sind. • Nehmen Sie Stellung, an welchen Stellen die persönliche Sicht des Autors erkennbar wird. • Kommentieren Sie, welches Massenphänomen hier geschildert wird. 2. Recherchieren Sie die Hintergründe des Justizpalastbrandes 1927. In künstlerischer Hinsicht hatte der Expressionismus seine Kraft verloren und wurde von einer neuen Zuwendung zu einer sachlichen, schonungslosen Darstellungsweise abgelöst. Der Stil war reporta- gehaft nüchtern, das Ziel war die Dokumentation des Geschehens. Die Erfahrung des Großstadtle- bens ging als prägend in die Werke dieser Zeit ein. Der nach dem Ersten Weltkrieg vorherrschende Pessimismus wich nur langsam. Die Lage vieler Autorinnen und Autoren wurde zunehmend untragbarer, Schriftsteller/innen wurden ob ihrer jüdischen Herkunft und/oder ihrer politischen Anschauungen verfolgt, die Publikation ihrer Werke behindert, ihre Bücher verbrannt. Für viele endete diese Entwicklung mit dem Gang ins Exil oder in die Vernichtungslager. DAs EpI scHE THEATER Das epische Theater steht dem traditionellen aristotelischen Theater gegenüber und wirkt durch einen gänzlich anderen inhaltlichen Ansatz und eine andere Form. Die klassische Tragödie hat eine geschlossene Form: Sie zeigt einen strengen Aufbau, beachtet die Einheit von Handlung, Zeit und Ort, ist auf die Reinheit der Gattung bedacht und bietet eine Welt für sich. Das epische Drama hat (ähnlich wie die Dramen Shakespeares und des Sturm und Drang) eine offene Form: Jede Szene stellt ein Bild für sich dar, die Schauplätze wechseln, die Handlung weist Zeitsprünge auf, das Ende bleibt häufig offen, denn die Zuschauer/innen sollen weiterdenken und für sich die Folgerungen ziehen. Das Petroleum sträubt sich gegen die fünf Akte, die Katastrophen von heute verlaufen nicht geradlinig, sondern in der Form von Krisenzyklen, die ‚Helden‘ wechseln mit den einzelnen Phasen, sind auswechselbar und so weiter und so weiter. (Brecht, 1929) Das epische Theater möchte nicht nur das Publikum unterhalten, sondern es auch zu politischem Handeln animieren. Zum Aufbau des aristotelischen und des epischen Dramas b86q6y DIE ZEIT ZWISCHEN DEN KRIEGEN – NEUE SACHLICHKEIT | 1920 – 1945 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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