Killinger Literaturkunde, Schulbuch

27 12. Beschreiben Sie die Situation, in der sich das lyrische Ich befindet, indem Sie jede Strophe mit einem kurzen Satz zusammenfassen. Das für Walthers Minnebegriff Kennzeichnende an diesem Traumbild ist, dass es sich um eine „ma- get“ handelt, ein Mädchen also, das nicht den Spielregeln des höfischen Gesellschaftslebens un- terworfen ist; sie darf seine Liebe erwidern. Aber sie ist zugleich ein „kint, da  êre hât“: Sie hat die innere Haltung und den anmutigen Anstand einer höfischen „frouwe“. Deswegen redet der Sänger sie mit „frouwe“ und „ir“ an. Viele seiner Zeitgenossen haben Walthers Lieder auf die „maget-frouwe“ als Verrat am hohen Min- nesang getadelt. „Si verwîsent mir, da  ich / sô nidere wende mînen sanc“, beklagt sich Walther in einem seiner Mädchenlieder. Und er gibt den Vorwurf scharf zurück: Seine Kritiker wüssten nicht, was Liebe ist; „si getraf diu liebe nie“. Er stellt den Begriff „liebe“ oder „herzeliebe“ als Bezeichnung einer natürlichen, auf Gegenseitigkeit gegründeten und erfüllten Liebesbeziehung in Gegensatz zum Begriff der „hôhen minne“, der die einseitige, sich in endloser Sehnsucht verzehrende Bindung des adeligen Mannes an eine „überhêre“, eine in unerreichbare Höhe idealisierte „frouwe“, meint. Zur Form der Minnedichtung Die Strophen der Minnelieder zeigen in der Regel einen dreiteiligen Aufbau: Zwei gleich gebaute Versgruppen (Stollen) bilden den Aufgesang. Der dritte Teil, der Abgesang, weist eine andere Reim- bindung auf. Die folgende Strophe aus einem Gedicht Walthers zeigt diesen Aufbau: Ir sult sprechen willekomen: der iu mære bringet, da  bin ich. } 1. Stollen alle  da  ir habt vernomen, } Aufgesang da  ist gar ein wint: nû frâget mich. } 2. Stollen ich wil aber miete: wirt mîn lôn iht guot, ich gesage iu lîhte da  iu sanfte tuot. } Abgesang seht wa  man mir êren biete. [...] Wende im Minnesang Strophenform 34 36 38 40 Mir ist von ir geschehen, da  ich disen sumer allen meiden muo  vast under d’ougen sehen. lîhte wirt mir einiu: so ist mir sorgen buo  . wa  obe si gêt an disem tanze? „frouwe, dur iur güete rucket ûf die hüete!“ owê, gesæhe ich si under kranze! Nun hat sie mich so weit gebracht, dass ich diesen Sommer allen Mädchen tief in die Augen sehen muss: Vielleicht finde ich sie – dann bin ich allen Kummer los. Wie, wenn sie diesen Tanz mitmachte? Meine Damen, bitte, rückt die Hüte ein wenig aus der Stirn! Ach, erblickte ich sie doch unter dem Kranz! 8pr2zh DAS HOCHMITTELALTER | 1170 – 1230 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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