Killinger Literaturkunde, Schulbuch

269 30 35 40 45 Wieder begannen die widerlichen Hö ichkeiten, einer reichte über K. hinweg das Messer dem anderen, dieser reichte es wieder über K. zurück. K. wusste jetzt genau, dass es seine P icht gewesen wäre, das Messer, als es von Hand zu Hand über ihm schwebte, selbst zu fassen und sich einzubohren. Aber er tat es nicht, sondern drehte den noch freien Hals und sah umher. Vollständig konnte er sich nicht bewähren, alle Arbeit den Behörden nicht abnehmen, die Verantwortung für diesen letzten Fehler trug der, der ihm den Rest der dazu nötigen Kraft versagt hatte. Seine Blicke želen auf das letzte Stockwerk des an den Stein- bruch angrenzenden Hauses. Wie ein Licht aufzuckt, so fuhren die Fenster ügel eines Fens- ters dort auseinander, ein Mensch, schwach und dünn in der Ferne und Höhe, beugte sich mit einem Ruck weit vor und streckte die Arme noch weiter aus. Wer war es? Ein Freund? Ein guter Mensch? Einer, der teilnahm? Einer, der helfen wollte? War es ein Einzelner? Waren es alle? War noch Hilfe? Gab es Einwände, die man vergessen hatte? Gewiss gab es solche. Die Logik ist zwar unerschütterlich, aber einem Menschen, der leben will, wider- steht sie nicht. Wo war der Richter, den er nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht, bis zu dem er nie gekommen war? Er hob die Hände und spreizte alle Finger. Aber an K.s Gurgel legten sich die Hände des einen Herrn, während der andere das Messer ihm tief ins Herz stieß und zweimal dort drehte. Mit brechenden Augen sah noch K., wie die Herren, nahe vor seinem Gesicht, Wange an Wange aneinander gelehnt die Entschei- dung beobachteten. „Wie ein Hund!“, sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben. Mit dem Begriff „kafkaesk“ werden Situationen beschrieben, die auf unergründliche Weise gleich bedrohlich und ausweglos sind. 26. Ergründen Sie das Kafkaeske an dieser Situation: • Beschreiben Sie, wie sich K. in dieser entscheidenden Situation verhält. • Kommentieren Sie, in welchem Ton dieser Abschnitt geschildert wird. DER DADAI sMus Aus dem Expressionismus und dem italienischen Futurismus entwickelte sich der Dadaismus. In einem kleinen, verrauchten Züricher Lokal gründeten einige meist aus Deutschland stammende Schriftsteller und bildende Künstler 1916, mitten im Weltkrieg, das Cabaret Voltaire. Sie waren zwar gegen den Krieg und seinen Hurra-Patriotismus, wollten aber vor allem die Kunst revolutionieren. Dazu entwickelten sie mehrere Verfahren: Aus Teilen von Bildern und Fotos fertigten sie Collagen. Hans Arp (1886 – 1966) holte sich nach dem Prinzip des Zufalls Worte aus bestehenden Texten und setzte sie zu einem Nonsenstext zusammen. Hugo Ball (1886 – 1927) zerlegte Wörter und Sätze in ihre Bestandteile und montierte sie assoziativ zu Lautgedichten. So ergaben sich rhythmische Gebil- de, die er im Kabarett, als eine Art Hohepriester verkleidet, im Sprechgesang wie Beschwörungsfor- meln vortrug. DADA wurde zum Schockerlebnis und Bürgerschreck. k3s89t GEGENSTRÖMUNGEN ZUM NATURALISMUS | 1890 – 1925 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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