Killinger Literaturkunde, Schulbuch

255 20 25 einschlugen, und nachdem er sie einigen Vorsprung hatte gewinnen lassen, folgte er ihnen, folgte ihnen verstohlen auf ihrem Spaziergang durch Venedig. Er mußte stehen bleiben, wenn sie sich verweilten, mußte in Garküchen und Höfe üchten, um die Umkehrenden vorüber zu lassen; er verlor sie, suchte erhitzt und erschöpft nach ihnen über Brücken und in schmutzigen Sackgassen und erduldete Minuten tödlicher Pein, wenn er sie plötzlich in enger Passage, wo kein Ausweichen möglich war, sich entgegen- kommen sah. Dennoch kann man nicht sagen, daß er litt. Haupt und Herz waren ihm trun- ken, und seine Schritte folgten den Weisungen des Dämons, dem es Lust ist, des Menschen Vernunft und Würde unter seine Füße zu treten. 11. Diskutieren Sie die Stelle, in der Aschenbachs Gedanken nur um den polnischen Jüngling krei- sen, zu dem er sich hingezogen fühlt: • Besprechen Sie die Emotionen, die Aschenbach begleiten, als er dem Jüngling und dessen Familie durch die Stadt folgt. • Stellen Sie dar, wie der Verfall des Schriftstellers in dieser Passage dargestellt wird. Untersu- chen Sie die Erzählperspektive anhand dieser Stelle. Sein Zeitroman Der Zauberberg (1924) ist als eine „Art humoristisches Gegenstück“ zu seiner Erzäh- lung Der Tod in Venedig gedacht. Ironisch spielt er mit Weltanschauungen und zeigt die Hohlheit des Bildungsbürgertums. Hermann Hesse Hermann Hesse lässt sich – ähnlich wie Thomas Mann – nicht leicht in den literarhistorischen Zu- sammenhang einordnen. Einerseits ist er durchaus traditionellen Erzählformen verhaftet, andererseits lehnt er die Einordnung in die Gesellschaft ab. In seinem Werk Unterm Rad (1906) schildert Hermann Hesse die Probleme eines begabten Ju- gendlichen namens Hans, der in einem Internat lebt, mit dem Leistungsdruck in seiner bürgerlichen Umgebung nicht zurande kommt und letztlich daran zerbricht. 1 5 10 Lucius sprang iehend beiseite und gewann die Tür. Sein Verfolger setzte ihm nach, und es entstand ein hitziges und geräuschvolles Jagen durch Gänge und Säle, über Treppen und Flure bis in den fernsten Flügel des Klosters, wo in stiller Vornehmheit die Ephorus- wohnung lag. Heilner erreichte den Flüchtling erst knapp vor der Studierzimmertür des Ephorus, und als jener schon angeklopft hatte und in der offenen Türe stand, erhielt er im letzten Augenblick noch den versprochenen Fußtritt und fuhr, ohne mehr die Tür hinter sich schließen zu können, wie eine Bombe ins Allerheiligste des Herrschers. Das war ein unerhörter Fall. Am nächsten Morgen hielt der Ephorus eine glänzende Rede über die Ent- artung der Jugend, Lucius hörte tiefsinnig und beifällig zu, und Heilner bekam eine schwere Karzerstrafe 1 diktiert. Suche nach dem Platz in der Gesellschaft 1 Karzerstrafe: Arreststrafe in der Schule au4va9 GEGENSTRÖMUNGEN ZUM NATURALISMUS | 1890 – 1925 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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