Killinger Literaturkunde, Schulbuch

248 5. Vergleichen Sie diesen Text mit dem Gedicht Der römische Brunnen von Conrad Ferdinand Meyer (vgl. Seite 218f.): • Zeigen Sie auf, wie spezifische Eigenschaften mit Worten nachgebildet werden. • Kommentieren Sie formale Eigenheiten. Das zentrale Motiv in Rilkes Dichtung ist der Sinn der Schöpfung und des Lebens angesichts des Todes. Unsere Existenz ist vom Wissen um den Tod bestimmt. Jeder vergangene Augenblick ist unwiederbringlich verloren. Rilke ringt so lange mit dem Urproblem des Menschen, bis er glaubt, eine Antwort gefunden zu haben: Der Tod ist eine Form und eine Notwendigkeit des Lebens selber. Leben und Tod spiegeln einander, keines ist ohne das andere denkbar. 2 4 6 8 10 12 14 Rainer Maria Rilke Der Tod der Geliebten (1907) Er wusste nur vom Tod, was alle wissen: dass er uns nimmt und in das Stumme stößt. Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen, nein, leis aus seinen Augen ausgelöst, hinüberglitt zu unbekannten Schatten, und als er fühlte, dass sie drüben nun wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten und ihre Weise wohlzutun: da wurden ihm die Toten so bekannt, als wäre er durch sie mit einem jeden ganz nah verwandt; er ließ die andern reden und glaubte nicht und nannte jenes Land das gutgelegene, das immersüße – und tastete es ab für ihre Füße. 6. Analysieren Sie die Struktur dieses Gedichtes: • Teilen Sie es in seine Sinnabschnitte. • Bestimmen Sie das Reimschema. Rilke faszinierte die griechische Sage von dem Sänger Orpheus, der den Tod besiegt: Orpheus vermag mit seinem Gesang die Götter der Unterwelt zu bewegen, ihm seine verstorbene Gattin wiederzugeben. Das Gebot, Eurydike auf dem Weg aus der Unterwelt nicht anzublicken, kann er aus Sehnsucht nach ihr nicht einhalten, und Eurydike sinkt ins Totenreich zurück. Orpheus gelingen in der Erinnerung an die Gattin so vollendete Lieder, dass die Menschen und die Tiere, ja sogar die leblosen Steine mit ihm trauern. Das Orpheusmotiv in der modernen Dichtung ist Symbol für die höchste Kunst. Der Schmerz über die Vergänglichkeit der Schönheit und die Verbundenheit mit dem Reich des Todes machen den Dichter fähig, das vollendete Kunstwerk zu schaffen. Rilkes erste Gestaltung des Motivs, Orpheus. Eurydike. Hermes , ist in lyrischer Prosa abgefasst und stammt aus dem Jahr 1904. Viel später (1922) entstanden fünfundfünfzig Sonette an Orpheus , denen der folgende Text entnommen ist: Frage nach Leben und Tod Orpheusmotiv bei Rilke Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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