Killinger Literaturkunde, Schulbuch

244 60 65 70 ANATOL: Gnädige Frau – Sie sind so lieb – GABRIELE: Versprechen Sie mir, ihr’s zu bestellen ... und mit den Worten, die ich Ihnen mitgeben will – ANATOL: Gewiss. GABRIELE: Versprechen Sie’s mir? – ANATOL: Ja ... mit Vergnügen! Warum denn nicht! GABRIELE hat die Wagentür geöffnet: So sagen Sie ihr ... ANATOL: Nun ...? GABRIELE: Sagen Sie ihr: „Diese Blumen, mein ... süßes Mädl, schickt dir eine Frau, die vielleicht ebenso lieben kann wie du und die den Mut dazu nicht hatte ...“ ANATOL: Gnädige ... Frau!? – – Sie ist in den Wagen gestiegen – – – Der Wagen rollt fort, die Straßen sind fast menschenleer geworden. Er schaut dem Wagen lange nach, bis er um eine Ecke gebogen ist ... Er bleibt noch eine Weile stehen; dann sieht er auf die Uhr und eilt rasch fort. Vorhang. 3. Untersuchen Sie, wie in diesem Dialog eine floskelhafte Konversation persönliche Züge erhält: • Beschreiben Sie, wie Anatol charakterisiert ist. • Besprechen Sie, welche Aufschlüsse der Dialog über Gabriele gibt. • Kennzeichnen Sie die Einstellung der beiden Figuren zueinander. • Suchen Sie typische Wendungen der gehobenen Konversation. • Zeigen Sie auf, wo die Konversation in ein persönliches Gespräch übergeht. Die Fähigkeit des Dramatikers Schnitzler, Personen zu charakterisieren, wird auch in seinen Erzäh- lungen und Novellen deutlich. Der Schauplatz und das Milieu sind – wie in den Dramen – Wien und die gehobene Gesellschaft. Die Figuren werden meist in eine außergewöhnliche Situation versetzt, die ihr Leben verändert oder sie mit dem Tod bedroht. Erotik, Ehrgeiz, Zwiespältigkeit, Altern und Tod erscheinen in verschiedenen Variationen. In seinen Novellen Leutnant Gustl (1900) und Fräulein Else (1924) bedient sich Schnitzler einer Technik, die dem Dramatiker ebenso entgegenkommt wie dem Psychoanalytiker, nämlich des inne- ren Monologs. Der innere Monolog gibt die Gedanken, Gefühle, Wünsche, Assoziationen der Figur in einer nicht voll ausgeformten Sprache wieder. Verlaufsstufe ist das Präsens, Vollzugsstufe das Perfekt. Der Autor fängt gewissermaßen den Bewusstseinsstrom seiner Figur ein, in dem sich alles Geschehen spie- gelt. Schnitzler gelingt es mit Hilfe des inneren Monologs, Menschen durch das Gespräch mit sich selbst zu charakterisieren, durch Erinnerungen und flüchtige Assoziationen die Triebfedern ihres Handelns und Denkens bloßzulegen. Der innere Monolog gibt dem Dichter die Möglichkeit, Reaktionen, Wahrnehmungen und Empfindungen seiner Figur noch unreflektiert nebeneinander zu stellen und so den Leser Augenblicksregungen unmittelbar miterleben zu lassen. Die Lockerung der Syntax 1 und die unverbundene Reihung von Aussagen geben dieser Form den besonderen Reiz. Leutnant Gustl, ein junger, menschlich unreifer Offizier, langweilt sich in einem Konzert. An der Garderobe kommt es zu einem Streit mit einem Bäckermeister, der ihn beleidigt, indem er ihn einen Innerer Monolog 1 Syntax: Satzgrammatik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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