Killinger Literaturkunde, Schulbuch

243 15 20 25 30 35 40 45 50 55 ANATOL: Nur nicht sarkastisch 1 werden! GABRIELE: Ich kenne ja Ihren Geschmack ... Wird wohl wieder irgendwas von der Linie sein – dünn und blond! ANATOL: Blond – gebe ich zu ...! GABRIELE: ... Ja, ja ... blond ... es ist merkwürdig, dass Sie immer mit solchen Vorstadt- damen zu tun haben – aber immer! ANATOL: Gnädige Frau – meine Schuld ist es nicht. GABRIELE: Lassen Sie das – mein Herr! – Oh, es ist auch ganz gut, dass Sie bei Ihrem Gen- re 2 bleiben ... es wäre ein großes Unglück, wenn Sie die Stätte Ihrer Triumphe verließen ... ANATOL: Aber was soll ich denn tun – man liebt mich nur da draußen ... GABRIELE: Versteht man Sie denn ... da draußen? ANATOL: Keine Idee! – Aber, sehen Sie ... in der kleinen Welt werd’ ich nur geliebt; in der großen – nur verstanden – Sie wissen ja (...) GABRIELE: Aber – Sie wissen ja – der spezielle Fall interessiert mich. Wir wollen ja dem speziellen Fall etwas kaufen! ANATOL: Dort in der ... „kleinen Welt“ gibt’s ja keine speziellen Fälle – eigentlich auch in der großen nicht ... Ihr seid ja alle so typisch! GABRIELE: Mein Herr! Nun fangen Sie an – ANATOL: Es ist ja nichts Beleidigendes – durchaus nicht! – Ich bin ja auch ein Typus! GABRIELE: Und was für einer denn? ANATOL: ... Leichtsinniger Melancholiker! GABRIELE: ... Und ... und ich? ANATOL: Sie? – ganz einfach: Mondaine 3 ! GABRIELE: So ...! ... Und sie !? ANATOL: Sie ...? Sie ..., das süße Mädl! GABRIELE: Süß? Gleich „süß“? – Und ich – die „Mondaine“ schlechtweg – ANATOL: Böse Mondaine – wenn Sie durchaus wollen ... GABRIELE: Also ... erzählen Sie mir endlich von dem ... süßen Mädl! [...] GABRIELE: ... Ich möchte am liebsten dabei sein, wenn Sie ihr das Weihnachtsgeschenk bringen! ... Ich habe eine solche Lust bekommen, das kleine Zimmer und das süße Mädl zu sehen! – Die weiß ja gar nicht, wie gut sie’s hat! ANATOL: ...! GABRIELE: Nun aber, geben Sie mir die Päckchen! – Es wird so spät ... ANATOL: Ja, ja! Hier sind sie – aber ... GABRIELE: Bitte – winken Sie dem Wagen dort, der uns entgegenkommt ... ANATOL: Diese Eile, mit einem Mal?! GABRIELE: Bitte, bitte! Er winkt . GABRIELE: Ich danke Ihnen ...! Aber was machen wir nun mit dem Geschenk ...? Der Wagen hat gehalten; er und sie sind stehen geblieben, er will die Wagentüre öffnen. GABRIELE: Warten Sie! – ... Ich möchte ihr selbst was schicken! ANATOL: Sie ...?! Gnädige Frau, Sie selbst ... GABRIELE: Was nur?! – Hier ... nehmen Sie ... diese Blumen ... ganz einfach, diese Blumen ...! Es soll nichts anderes sein als ein Gruß, gar nichts weiter ... Aber ... Sie müssen ihr was dazu ausrichten. – 1 sarkastisch: mit beißendem, verletzendem Spott 2 Genre: Gattung, Art, besonders in der Kunst 3 Mondaine: Frau von Welt 3is4ry GEGENSTRÖMUNGEN ZUM NATURALISMUS | 1890 – 1925 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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