Killinger Literaturkunde, Schulbuch

234 DIE wIEnER MoDERnE Der Naturalismus findet in der österreichischen Literatur kaum Widerhall. Den Dichtern bleibt das exakte, wissenschaftlich überprüfbare Beschreibungsverfahren, das aus den Naturwissenschaften übernommen worden ist, fremd. Es widerstrebt ihnen die Darstellung des Hässlichen und des sozi- alen Elends, des Banal-Alltäglichen. Hugo von Hofmannsthal drückt dieses Unbehagen folgender- maßen aus: Tiefe Zusammenhänge sind nur mit Symbolen aussprechbar, der Naturalismus bleibt an der Ober äche haften und dringt nicht in die wesentlichen Zusammenhänge ein. Für die eigenständige Ausformung der österreichischen Dichtung am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde noch kein einheitlicher Name gefunden. Alle Benennungen treffen nur einen Teil der vielschichtigen Dichterpersönlichkeiten und ihrer Werke, keine umfasst die Vielfalt der Absichten und Gestaltungen. Die Bezeichnung „Wiener Moderne“ wurde schon um die Jahr- hundertwende häufig gebraucht. Andere Benennungen sind: „Das junge Wien“, „Jugendstil“ (in Anlehnung an die bildenden Künste), „Dekadenzliteratur“ 1 , „Kaffeehausliteratur“, „Fin de siècle“ 2 und „Ästhetizismus“. Alle diese Namen bezeichnen wesentliche Merkmale, aber kein Begriff vermag Gesellschaftliches und geistiges Umfeld Bezeichnungen für diese Epoche GEGENSTRÖMUNGEN ZUM NATURALISMUS ETWA 1890 BIS 1925 1 Dekadenz: kultureller Niedergang, Verfall 2 Fin de siècle: Ende des Jahrhunderts, der Zeitepoche Die Kirche am Steinhof (auch: Kirche zum Heiligen Leopold ) wurde von 1904 bis 1907 nach Entwürfen von Otto Wagner erbaut und gilt als eines der bedeutendsten Bauwerke des Wiener Jugendstils. Das römisch-katholische Kirchengebäude befindet sich auf dem Gelände des „Sozialmedizinischen Zentrums Baumgartner Höhe“ im 14. Wiener Gemeindebezirk Penzing. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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