Killinger Literaturkunde, Schulbuch

22 Gebot, „rehter mâ  e ir orden“ zu geben; das heißt, in allen Dingen das richtige Maß zu halten, anstandsvolle Zurückhaltung zu üben, sich immer ausgeglichen, beherrscht und maßvoll zu zeigen. Insbesondere rügt er Parzival wegen seiner „unfuoge“ (Unart), zu viel und zu unbedacht zu reden. „ir redet als ein kindelîn“, tadelt ihn Gurnemanz und ermahnt ihn, „ir ensult niht vil gefrâgen“ („Ihr dürft nicht so viele unangebrachte Fragen stellen“). Dieser Rat wird Parzival zunächst zum Verhängnis, weil er ihn allzu wörtlich nimmt: Als er zur Grals- burg gefunden hat, wohin nur Berufene finden, unterlässt er es, den Gralskönig Amfortas nach dem Grund seines unsäglich qualvollen Leidens zu fragen. Eine solche Frage, aus tiefem Mitleid gestellt, hätte Amfortas von seinen Schmerzen erlöst und Parzival als des Königsamtes würdig erwiesen. Parzival begreift sein menschliches Versagen noch nicht. Es wird ihm erst bewusst gemacht, als er das höchste Ziel des weltlichen Rittertums, die Aufnahme in die Tafelrunde des Königs Artus, erreicht hat: Kundrie, die Gralsbotin, erscheint an Artus’ Hof und verflucht Parzival vor der ganzen „masse- nie“, der versammelten Ritterschaft, wegen dieses Versagens. Parzival antwortet auf seine Schmach mit Trotz und Hass gegen Gott, der ihm „sölhen spot“ nicht erspart hat: 332, 5 ich was im dienstes undertân, sît ich genâden mich versan. nu wilich im dienest widersagen; hât er ha  , den wil ich tragen. Ich habe ihm immer treu gedient, seit ich weiß, was das ist: die Huld des Herrn. Jetzt sage ich mich los von ihm. Wenn er Haß hat, den will ich tragen. 8. Beurteilen Sie, inwiefern dieser Textabschnitt die Gesellschaftsordnung des Mittelalters (Lehenswesen) widerspiegelt. Viereinhalb Jahre irrt Parzival auf der Suche nach dem Gral umher; doch solange er in der Feind- schaft gegen Gott verharrt, vermag er den Weg zur Gralsburg nicht zu finden. An einem Karfreitag- morgen bahnt sich die innere Wandlung an: Parzival will erproben, ob Gott an seinem „helflîchen tac“ Hilfe gewährt. Er gibt dem Pferd die Zügel frei und treibt es mit den Sporen an: „nu genc nach der gotes kür.“ (Nun laufe, wie Gott es bestimmt!) Das Pferd trägt ihn zur Klause des frommen Einsiedlers Trevrizent. Parzivals innere Wandlung 456,5 Der einsidel zime sprach „ouwê, hêrre, da  iu sus geschach in dirre heileclîchen zît! hât iuch angestlîcher strît in di  harnas getriben? oder sît ir âne strît belîben? sô stüende iu ba  ein ander wât, lie  e iuch hôchferte rât. nu ruocht erbei  en, (ich wæne, iu da  iht werre) Der Einsiedler sprach zu ihm: „Wehe, daß ich Euch so sehen muß, mein Herr, an diesem heiligen Tag! Hat Euch die Not des Kampfes in diese Rüstung gezwungen, oder seid Ihr ohne Streit geblieben? Dann stünde Euch ein anderer Anzug besser zu Gesicht. Oder ist es Hochmut, was Euch so handeln läßt? Mein Herr, seid so freundlich und steigt ab, ich glaube, das wird Euch nicht schaden; Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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