Killinger Literaturkunde, Schulbuch

216 In den Drei gerechten Kammmachern aus demselben Zyklus gibt Gottfried Keller aus ironischer Dis- tanz ein Bild von der Banalität des „typischen“ Feiertags eines verschrobenen Handwerksgesellen: 1 5 10 15 20 Entschloss er sich aber zu einem Spaziergang, so putzte er sich eine oder zwei Stunden lang peinlich heraus, nahm sein Spazierstöckchen und wandelte steif ein wenig vors Tor, wo er demütig und langweilig herumstand und langweilige Gespräche führte mit anderen Herum- ständern, die auch nichts Besseres zu tun wussten [...] Mit solchen stellte er sich dann gern vor ein im Bau begriffenes Haus, vor ein Saatfeld, vor einen wetterbeschädigten Apfelbaum oder vor eine neue Zwirnfabrik und tüftelte auf das Angelegentlichste über diese Dinge, deren Zweckmäßigkeit und den Kostenpunkt, über die Jahreshoffnungen und den Stand der Feldfrüchte, von was allem er nicht den Teufel verstand. Es war ihm auch nicht darum zu tun, aber die Zeit verging ihm so auf die billigste und kurzweiligste Weise nach seiner Art, und die alten Leute nannten ihn nur den artigen und vernünftigen Sachsen, denn sie verstanden auch nichts. Als die Seldwyler eine große Aktienbrauerei anlegten, von der sie sich ein gewaltiges Leben versprachen, und die weitläu“gen Fundamente aus dem Boden ragten, stöchert er manchen Sonntagabend darin herum, mit Kennerblick und mit dem scheinbar lebendigsten Interesse die Fortschritte des Baues untersuchend, wie wenn er ein alter Bausachverständiger und der größte Biertrinker wäre. „Aber nein!“, rief er einmal um das andere, „des is ein fameses Wergg! Des gibt eine großartige Anstalt! Aber Geld kosten duht’s, na, das Geld! Aber schade, hier misste mir des Gewehlbe doch en bissgen diefer sein und die Mauer um eine Idee stärger!“ Bei alledem dachte er sich gar nichts, als dass er noch rechtzeitig zum Abendessen wolle, ehe es dunkel werde [...] Hatte er sein Stückchen Braten oder Wurst versorgt, so wurmisierte 1 er noch ein Weilchen in der Kammer herum und ging dann zu Bett; dies war dann ein vergnügter Sonntag für ihn gewesen. 1. Erläutern Sie Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen diesen beiden Textstellen. Berücksichti- gen Sie Details, die geschildert werden, und den Ton, der in den Textabschnitten vorherrscht. Der Humor war ein beliebtes Mittel der realistischen Erzähler, um Distanz zum Geschehenen zu ent- wickeln und Problematisches zu demaskieren. In der gleichen Novelle wird das Liebesspiel zwischen der nicht mehr jungen Jungfer Züs Bünzlin, einer „guten Partie“, und einem ihrer drei Bewerber humorvoll geschildert: 1 5 10 Er konnte sich nicht enthalten, Züsis Hand zu ergreifen und ihr zierlich die Fingerspitzen zu küssen; sie tippte ihm leicht mit dem Zeige“nger auf die Lippen, und er tat, als ob er danach schnappen wollte, und machte dazu ein Maul wie ein lächelnder Karpfen; Züs schmunzelte falsch und freundlich, Dietrich schmunzelte schlau und süßlich; sie saßen auf der Erde sich gegenüber und tätschelten zuweilen mit den Schuhsohlen gegeneinander, wie wenn sie sich mit den Füßen die Hände geben wollten [...] Als er ihr aber Himmel und Hölle vorstellte, wozu ihm sein aufgeregter und gespannter Unternehmungsgeist herrliche Zauberworte verlieh, als er sie mit Zärtlichkeiten jeder Art überhäufte und bald ihrer Hände, bald ihrer Füße sich zu bemächtigen suchte und ihren Leib und ihren Geist, alles, was an ihr war, lobte und rühmte, dass der Himmel hätte grün Wiedergabe des Banalen humor und Satire 1 wurmisieren: sich mit unbedeutenden Dingen beschäftigen Nur zu Prüfzwecken – Eigen um des Verlags öbv

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