Killinger Literaturkunde, Schulbuch

21 DAs Höf I scHE Epos AM BEI spIEL DEs pARZ IvAL Das Vorbild für das höfische Epos waren französische Versepen des 12. Jahrhunderts. Die fran- zösischen Dichter entnahmen ihre Stoffe vor allem dem Sagenkreis um Karl den Großen und der Artussage, die auch von deutschen Dichtern mit Vorliebe bearbeitet wurde. Der sagenhafte bri- tannische König Artus, der gegen die Invasion der Angelsachsen kämpfen musste, versammelt als feudaler Kriegsherr die besten Ritter in seiner Tafelrunde. Jeder dieser Ritter hat seine Abenteuer und Bewährungsproben zu bestehen und gibt so Stoff für einen eigenen Roman ab. Auch ursprünglich selbständige Stoffe, wie die Geschichte von Tristan und Isolde und die vom heiligen Gral, wurden in den Artussagenkreis einbezogen, so stark war seine Strahlkraft. Die Artusdichtung kam von England über Frankreich nach Deutschland. Hauptkennzeichen der höfischen Epik: • idealistisch wirklichkeitsfremd, Ritter als Vorbild, exklusiv aristokratisch (Standesdichtung) • formal streng durchgebildet (Reinheit der Reime, strenger Rhythmus) • vierhebige, paarweise gereimte Verse • kettenartiger Aufbau (eine Aventiure reiht sich an die nächste, kein linearer Verlauf) Hauptvertreter des deutschen höfischen Epos: Hartmann von Aue ( Erec , Iwein , die Geschichten zweier Artusritter) Gottfried von Straßburg ( Tristan und Isolde ) Wolfram von Eschenbach ( Parzival ) Die Freude am höfischen Leben mit seiner Pracht, seinem Reichtum, seinen glanzvollen Festen stand in einem unüberbrückbar scheinenden Gegensatz zur religiösen Weltsicht des Mittelalters, dass alles Irdische nichtig und vergänglich sei und dass nur Weltabkehr, Weltentsagung die Seele vor dem Bösen bewahren könne. So hat denn auch die Frage, wie die freudige Diesseitsbejahung mit einem gottgefälligen Verhalten zu vereinen sei, die Dichter der höfischen Zeit stark bedrängt, und viele suchten in ihren Werken nach einer Lebensform, die diesen Zwiespalt aufheben könnte. Wolframs Parzival Wolfram von Eschenbachs Text gehört zu den meistgelesenen Epen des Mittelalters. Es gibt heute noch etwa 75 Handschriften (einschließlich der Fragmente). Der Stoff wurde auch in der Oper Parsifal von Richard Wagner (1813 – 1883) behandelt. Wolfram hat in seinem Parzival eine ideale Lebensform dargestellt, die des Gralsritters. Parzival ist der Sohn eines auf dem Kreuzzug verstorbenen Ritters. Seine Mutter möchte verhindern, dass er das gleiche Schicksal erleidet, und erzieht ihn fern von aller Welt in einem Wald. Doch eines Tages verlässt Parzival als unerfahrener junger Mann seine zu Tode betrübte Mutter, um Ritter zu werden. Er gelangt an den Hof des Königs Artus, wird aber noch nicht in den Kreis der Artusritter aufge- nommen, weil ihm die ritterliche Erziehung fehlt. Diese „zuht“ vermittelt ihm Gurnemanz, ein alter, welterfahrener Ritter. Er belehrt Parzival auch über das Wesen wahrer Minne und über das höfische Sagen um König Artus Dichter höfischer Epen Entwicklung Parzivals zum Ritter Zwei Ritter beim Duell; Glasfenster in der Kathedrale von Chartres, 13. Jh. 793id5 DAS HOCHMITTELALTER | 1170 – 1230 Nur zu P üfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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