Killinger Literaturkunde, Schulbuch

200 Aus Europa. Chronik der gebildeten Welt , 23. Dezember 1852: 1 5 In so enger Einfriedung gefällt sich der ungewöhnliche, nach Wahrheit und Schönheit, nach den Geheimnissen des Menschenlebens ringende Geist. Und auf diese Weise motiviert er uns die Zumutung, vor dem Milchtöpfchen der armen Frau am Herde still zu sitzen, während draußen im Gewühl der Gassen der Orkan menschlicher Leidenschaften wütet. Überkochen ist überkochen, ob der Vulkan speit, das Meer stürmt, der Mensch in seiner Leidenschaft sich des Höchsten vermisst, am Milchtöpfchen der armen Frau oder sonstwo – alles eins! Aus Blätter für literarische Unterhaltung , 13. August 1853: 1 5 Es ist unleugbar, dass sich seine (Stifters) Poesie in gewissen engen, den stürmischen Zeit- interessen mehr oder minder fern liegenden Grenzen bewegt. Aber warum ihm dies zum Vorwurf machen? Non omnia possumus omnes 1 ! Der einzelne Mensch ist eben nur ein einzelnes Glied in der Kette der Menschheit, und er vermag etwas wirklich Großes und Tüchtiges nur zu leisten, wenn er sich darauf beschränkt, gerade den Platz auszufüllen, auf den ihn seine innere Anlage hingestellt hat. [...] Ich dächte, in unserer nach allen Seiten hin zerfahrenden, alle Unterschiede nivellierenden und darum nichts zustande bringenden Zeit verdient gerade ein Dichter, der sich zu begrenzen weiß, Anerkennung statt Tadel. 11. Zeigen Sie auf, inwiefern Stifters Vorgangsweise typisch für seine Zeit ist. 12. Nehmen Sie Stellung zu der Frage, ob die Schriftstellerin bzw. der Schriftsteller nur allgemein menschliche Probleme darstellen soll, oder ob er bzw. sie die Verpflichtung hat, in das Zeitge- schehen einzugreifen, Positionen aufzuzeigen und sich zu entscheiden. LyRIk DEs BIEDERMEIER Die Lyrik des Biedermeier steht nach wie vor unter dem Eindruck der Klassik und der Romantik, allerdings fehlt die Hinwendung zur Antike. Nikolaus Lenau (eigentlich Nimbsch von Strehlenau, 1802 – 1850) behandelt in seinen Gedichten melancholische Themen wie innere Zerrissenheit, Heimatlosigkeit und seine seelische Rastlosigkeit. In seinen Naturgedichten beschreibt er nicht nur die Weite der ungarischen Puszta, sondern auch amerikanische Landschaften. Seine Ruhelosigkeit zeigte sich auch darin, dass er versuchte, nach Amerika auszuwandern, wobei er dort allerdings nicht Fuß fassen konnte und bald zurückkehrte. 2 4 Nikolaus Lenau Winternacht (1832) Vor Kälte ist die Luft erstarrt, Es kracht der Schnee von meinen Tritten, Es dampft mein Hauch, es klirrt mein Bart, Nur fort, nur immer fortgeschritten! Weltschmerz und ruhelosigkeit 1 Keiner kann alles. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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