Killinger Literaturkunde, Schulbuch

184 daS Biedermeier 1815 BIS 1848 RÜckZug Ins pRIvATE Die Epoche vom Wiener Kongress, 1815, bis zum entscheidenden Wendepunkt der Geschichte des 19. Jahrhunderts, zur bürgerlichen Revolution im März 1848, nennt man „Biedermeier“ bzw. „Vormärz“. Die Zeit weist die unterschiedlichsten Strömungen auf: einerseits die unpolitische Kultur des Biedermeier, andererseits revolutionäre Kräfte, die eine Zerschlagung des herrschenden Systems anstrebten. Der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich hatte im Wiener Kongress eine Neuordnung Eu- ropas im Sinne eines wiedererstarkten fürstlichen Absolutismus durchgesetzt („Restauration“) und seine Machtposition bis zur Revolution von 1848 behauptet. Das Bürgertum hatte keine Möglich- keit, sich politisch zu betätigen, und war von jeder Beteiligung an der Macht ausgeschlossen. Frei- heitliche Bewegungen, wie die Burschenschaften, wurden verfolgt, ihre Mitglieder inhaftiert. Dieses System setzte genaue Kontrollen voraus, weswegen der Staat einen umfangreichen Polizeiapparat samt Spitzelwesen aufbauen musste. Die Landesgrenzen waren bewacht, die Ein- und Ausreise er- schwert. Literarische Werke, Zeitschriften und Zeitungen wurden von der Zensur kontrolliert. Johann Nepomuk Nestroy schreibt darüber in seinem Stück Freiheit in Krähwinkel (1848): Die Zensur is’ die jüngere von zwei schändlichen Schwestern, die ältere heißt Inquisition. Die Zensur is’ das lebendige Geständnis der Großen, daß sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können.“ Man kann in dieser staatlichen Ordnung bei entsprechender Perspektive auch einige positive Merk- male sehen: Nach den Unruhen der Französischen Revolution und nach den zahlreichen Feldzügen gegen Napoleon bedeutete das System Metternichs militärisch Friede. Die Staaten gewannen innere Stabilität, der Handel und das Gewerbe erreichten eine hohe Blüte, die Unternehmer innerhalb des Bürgertums wurden wohlhabend. Später wurde auf das Biedermeier mit Sentimentalität zurückge- blickt. Das Wort Biedermeier findet sich zuerst als Name für eine Spottfigur in einer Münchner Zeitschrift. Gemeint war damit der zufriedene, unpolitische, im kleinen Kreis bleibende, Verse reimende „Phi- lister“. Erst im 20. Jahrhundert wurde „Biedermeier“ positiv verstanden und zunächst für die Klei- dermode und die Möbel der Restaurationszeit verwendet, für einen Wohnstil, der durch Schlichtheit und Behaglichkeit gekennzeichnet ist. Sodann wurde der Name auch für die damals so beliebte Porträt- und Landschaftsmalerei (Ferdinand Georg Waldmüller) gebraucht und schließlich für eine bestimmte Form der Literatur. Zu den Dichterinnen und Dichtern des Biedermeier rechnet man u. a. die Österreicher Franz Grill- parzer, Ferdinand Raimund, Johann Nestroy, Adalbert Stifter, Nikolaus Lenau und die Deutschen Wiederherstellung des absolutismus Begriff Biedermeier Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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