Killinger Literaturkunde, Schulbuch

176 20 25 30 Wir stiegen nun einen Hügel hinan, der mit Birken bep”anzt war, von oben sah man in ein grünes Tal voller Birken hinein, und unten mitten in den Bäumen lag eine kleine Hütte. Ein munteres Bellen kam uns entgegen, und bald sprang ein kleiner behänder Hund die Alte an und wedelte; dann kam er zu mir, besah mich von allen Seiten und kehrte mit freundlichen Gebärden zur Alten zurück. Als wir vom Hügel hinuntergingen, hörte ich einen wunderbaren Gesang, der aus der Hütte zu kommen schien, wie von einem Vogel; es sang also: „Waldeinsamkeit, Die mich erfreut, So morgen wie heut In ew’ger Zeit, O wie mich freut Waldeinsamkeit.“ [...] Das Mädchen bleibt bei der Alten, muss täglich für sie spinnen und die Tiere versorgen, während die Alte außer Haus ist. 1 5 Vier Jahre hatte ich so mit der Alten gelebt, und ich mochte ungefähr zwölf Jahre alt sein, als sie mir endlich mehr vertraute und mir ein Geheimnis entdeckte. Der Vogel legte näm- lich an jedem Tage ein Ei, in dem sich eine Perle oder ein Edelstein befand. Ich hatte schon immer bemerkt, dass sie heimlich in dem Kä¦g wirtschafte, mich aber nie genauer darum bekümmert. Sie trug mir jetzt das Geschäft auf, in ihrer Abwesenheit diese Eier zu nehmen und in den fremdartigen Gefäßen wohl zu verwahren. Eines Tages beschließt das Mädchen, die Hütte zu verlassen, die Edelsteine und den Vogel mitzuneh- men, den Hund aber zurückzulassen. Das Mädchen kommt in ihr Heimatdorf, muss aber erfahren, dass die Eltern verstorben sind. Sie lebt zurückgezogen in einem Haus mit Garten. 1 5 Ich konnte die Nacht hindurch nicht schlafen, alles ¦el mir von neuem in die Gedanken, und mehr als jemals fühlt’ ich, dass ich Unrecht getan hatte. Als ich aufstand, war mir der Anblick des Vogels sehr zuwider, er sah immer nach mir hin, und seine Gegenwart ängstigte mich. Er hörte nun mit seinem Liede gar nicht wieder auf, und er sang es lauter und schal- lender, als er es sonst gewohnt gewesen war. Je mehr ich ihn betrachtete, je bänger machte er mich; ich öffnete endlich den Kä¦g, steckte die Hand hinein und fasste seinen Hals, herzhaft drückte ich die Finger zusammen, er sah mich bittend an, ich ließ los, aber er war schon gestorben. – Ich begrub ihn im Garten. Als Walther nach ihrer Erzählung den Namen des Hundes aus der „Waldeinsamkeit“ nennt, obwohl sie sich nicht mehr daran erinnern kann, kommt es zur Katastrophe: Bertha wird dadurch sterbens- krank und weiht Eckbert in die Ursache ihrer Erkrankung ein. Um seine Frau und sich selbst von dem Druck der Ereignisse zu befreien, tötet er Walther. Bertha stirbt während seiner Abwesenheit. Eckbert lernt einen neuen Freund, Hugo, kennen, den er in den Mord an Walther einweiht. Danach glaubt er wiederholt in seinem neuen Freund Hugo erneut Walther zu erkennen. Rastlos begibt er sich auf eine Reise. Plötzlich hört er im Wald wieder das Lied, von dem schon Bertha gesprochen hat. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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