Killinger Literaturkunde, Schulbuch

175 50 aufgraben; da kam das ganze Gerippe des Erschlagenen zum Vorschein. Der böse Bruder konnte die Tat nicht leugnen, ward in einen Sack genäht und lebendig ersäuft. Die Gebeine des Gemordeten aber wurden auf dem Kirchhof in ein schönes Grab zur Ruhe gelegt. 3. Untersuchen Sie das Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm auf seine inhaltlichen und sprachlichen Merkmale: • Stellen Sie dar, wie genau die beiden Brüder charakterisiert werden. • Deuten Sie das Ende des Märchens. • Kommentieren Sie die sprachlichen Gestaltungsmerkmale. Die Romantiker wollten das Märchen nicht nur bewahren und vermitteln, sondern sie verwendeten die Märchenform auch für eigene Dichtungen. Fast alle romantischen Dichter, von Novalis bis Wil- helm Hauff, haben Märchen (Kunstmärchen) geschrieben, weil sich im Märchen das Wunderbare ereignen kann und die Wirklichkeit eine Entgrenzung ins Unendliche erfährt. Schon im Mittelalter gab es Geschichten, die bewusst an Märchenmotive anknüpften. Die Romantiker verfolgten mit der Form des Kunstmärchens unterschiedliche Ziele. So wollte Ludwig Tieck vor allem das Unheimliche zeigen, während Novalis im Märchen ein Mittel zur Darstellung der romantischen Philosophie sah. Die Dichter der Hochromantik wandten sich in ihren Kunstmärchen wieder stärker dem Inhalt und der Sprache des Volksmärchens zu. Die Stoffe für ihre Kunstmärchen entnahmen die Romantiker zum Teil alten Texten, zum Teil sind sie erfunden. Der Aufbau ist kunst- voll und die Sprache bewusst gestaltet. In Ludwig Tiecks Kunstmärchen Der blonde Eckbert , entstanden 1797, erzählt Bertha, die Frau des Ritters Eckbert, ihrem Mann und dem gemeinsamen Freund Walther ihr merkwürdiges Schicksal. Eines Tages geht sie, noch nicht erwachsen, von ihren Zieheltern, einem Hirtenehepaar, weg: 1 5 10 15 Ich lief immerfort, ohne mich umzusehen, ich fühlte keine Müdigkeit, denn ich glaubte immer, mein Vater würde mich einholen und, durch meine Flucht gereizt, mich noch grausa- mer behandeln. [...] Statt der erhofften Mühle, stieß ich auf einen Wasserfall, der meine Freude freilich um vieles minderte; ich schöpfte mit der Hand einen Trunk aus dem Bache, als mir plötzlich war, als hörte ich in einiger Entfernung ein leises Husten. Nie bin ich so angenehm überrascht worden als in diesem Augenblick, ich ging näher und ward an der Ecke des Waldes eine alte Frau gewahr, die auszuruhen schien. Sie war fast ganz schwarz gekleidet, und eine schwarze Kappe bedeckte ihren Kopf und einen großen Teil des Gesichtes, in der Hand hielt sie einen Krückenstock. Ich näherte mich ihr und bat um ihre Hilfe, sie ließ mich neben sich niedersitzen und gab mir Brot und etwas Wein. Indem ich aß, sang sie mit kreischendem Ton ein geistliches Lied. Als sie geendet hatte, sagte sie mir, ich möchte ihr folgen. Ich war über diesen Antrag sehr erfreut, so wunderlich mir auch die Stimme und das Wesen der Alten vorkam. Mit ihrem Krückenstocke ging sie ziemlich behände, und bei jedem Schritte verzog sie ihr Gesicht so, dass ich am Anfang darüber lachen musste. Die wilden Felsen traten immer weiter hinter uns zurück, wir gingen über eine angenehme Wiese und dann durch einen ziemlich langen Wald. [...] Von dichtern künstlerisch gestaltete märchen f2b3sg die romantiK | 1795 – 1835 Nur zu P üfzwecken – Eigentum des Verla s öbv

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