Killinger Literaturkunde, Schulbuch

168 die romantiK 1795 BIS ETWA 1835 EIn pRogRAMM fÜR EInE wIRRE ZEI T Das Wort „romantisch“ bedeutete ursprünglich romanhaft, später erst poetisch, phantastisch, stim- mungsvoll. Davon abgeleitet ist das Wort Romantik als Epochenbegriff. Die deutsche Romantik war nicht nur eine literarische, sondern eine das gesamte Geistesleben der Zeit prägende Bewegung, die einen neuen Lebensstil, eine neue Kunst- und Weltanschauung hervorbringen und die Krise der Gesellschaft um 1800 überwinden wollte. Im 116. Fragment des Athenäums , einer Zeitschrift der Frühromantik, heißt es: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie 1 .“ Es ging den Romantikern darum, die Menschen zum Poesiehaften in der Welt hinzuführen. Dieses Poesiehafte ist unmittelbar zu erleben, im Lächeln eines Kindes ebenso wie im Rauschen eines Baches oder im Gefühl für das Göttliche. Alle Künste sollten sich zu einem Gesamtkunstwerk vereinen, alles Welter- leben sollte zu einem romantischen Erlebnis werden. Die romantische Bewegung stand zunächst im Zeichen der Zustimmung zu den Idealen der Französi- schen Revolution von 1789. Das änderte sich erst, als Napoleon (1769 – 1821) seine Heere siegreich kreuz und quer durch den Kontinent führte. Mit unbeschränkter Macht zerstörte der neue Kaiser der Franzosen alte Strukturen, wie das Heilige Römische Reich, und errichtete neue staatliche Gebilde. In den Städten lagen französische Besatzungstruppen, und viele Nationen mussten für Napoleon in den Krieg ziehen. Der Abwehrwille der unterworfenen Völker gegen den militanten Despotismus Napoleons und seiner Helfer wuchs und entfachte den allgemeinen Aufstand der europäischen Staa- ten, als die Große Armee sieglos und vom Winter geschlagen aus Russland zurückkehrte (1813). In den folgenden Befreiungskriegen erreichte der nationale Enthusiasmus seinen Höhepunkt. Napoleon wurde besiegt und verbannt. Der Wunschtraum der bürgerlichen Patrioten, die den Kampf gegen Napoleon getragen hatten, war die politische Einheit der vielen deutschen Staaten und die Freiheit der Menschen. Doch die Fürsten schufen auf dem Wiener Kongress (1815) unter der Leitung des österreichischen Staatskanzlers Metternich eine Neuordnung Europas, die den fürstlichen Absolutismus wiederherstellte, wie er vor der Französischen Revolution geherrscht hatte. Zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung schlossen sich die Großmächte in der Heiligen Allianz zusammen und vereinbarten, sich notfalls gegenseitig Hilfe zu leisten. Alle Hoffnungen des Bürgertums auf Liberalismus und Demokratie waren damit zunichte gemacht. Die Empörung über diesen Rückschritt wurde mit polizeistaatlichen Mitteln unterdrückt. Die kämpferische Begeisterung klang in müder Resignation aus. Dem Bürgertum, das seit den Jah- ren des Sturm und Drang gegen fürstliche Willkürherrschaft und gegen die Privilegien des Adels gekämpft hatte, war es nicht gelungen, zur bestimmenden Kraft im Staate zu werden. Es zog sich in seine behaglichen Häuser, in die innere Emigration zurück. Poetisierung des lebens napoleonische Kriege restauration des absolutismus 1 progressiv: fortschrittlich Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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