Killinger Literaturkunde, Schulbuch

160 Friedrich Hölderlin und Heinrich von Kleist waren Einzelgänger, die sich weder der Klassik noch der Romantik zuordnen lassen, die ihre eigene Art entwickelten und in ihrer Weise auf die Verhältnisse der Zeit reagierten. Beide waren sie politisch engagiert; der um sieben Jahre ältere Hölderlin trat vor allem gegen den fürstlichen Spätabsolutismus auf, Kleist gegen Napoleon. Beide verabscheuten ein öffentliches Amt und wollten als freie Schriftsteller von ihrer literarischen Tätigkeit leben, was jedoch unter den damaligen Verhältnissen nicht gelingen konnte. fRIEDRIcH HöLDERL In Zunächst begeisterte sich Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) – wie viele Männer des Bildungsbür- gertums – für die Ideale der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) und dis- kutierte mit seinen Studienkollegen, zu denen der spätere Philosoph Friedrich Hegel zählte, die Möglichkeiten einer revolutionären Veränderung in Deutschland. Bald musste er aber einsehen, wie gering die Chancen waren, und so setzte er alle Hoffnung auf nachfolgende Generationen. In einem Brief an seinen Bruder heißt es: 1 5 Ich liebe das Geschlecht der kommenden Jahrhunderte. Denn dies ist meine seligste Hoff- nung, der Glaube, der mich stark erhält und tätig, unsere Enkel werden besser sein als wir, die Freiheit muss einmal kommen, und die Tugend wird besser gedeihen in der Freiheit heiligem erwärmendem Lichte, als unter der eiskalten Zone des Despotismus 1 . Wir leben in einer Zeitperiode, wo alles hinarbeitet auf bessere Tage. Diese Keime von Aufklärung, diese stillen Wünsche und Bestrebungen einzelner zur Bildung des Menschengeschlechts werden sich ausbreiten und verstärken und herrliche Früchte tragen. Sieh, lieber Karl, dies ist’s, woran nun mein Herz hängt. Dies ist das heilige Ziel meiner Wünsche und meiner Tätigkeit – dies, dass ich in unserem Zeitalter die Keime wecke, die in einem künftigen reifen werden. 1. Vergleichen Sie die Hoffnung von Hölderlin mit der heutigen Realität: • Beschreiben Sie, welche Rolle Hölderlin für sich in diesem Prozess der Veränderung sieht. • Stellen Sie Vermutungen darüber an, wie sich Hölderlin die neue Generation vorstellt. Für Hölderlin war das alte Griechenland Muster der Demokratie, der Grieche ein idealer Mensch, in dem Natur und Geist eine Harmonie bildeten. Die absolutistischen Herrschaftsstrukturen in Deutsch- Revolutionär gesinnte Studenten Gescheiterter Patriot ZWISCHEN KLASSIK UND ROMANTIK 1 Despotismus: unumschränkte Gewaltherrschaft Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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