Killinger Literaturkunde, Schulbuch

16 Als Siegfried betrauert und begraben wurde In der 17. Âventiure „Wie Sîfrit beklaget unt begraben wart“ bricht das Leid über Kriemhild herein, und ihr ganzes weiteres Leben bis zu ihrem gewaltsamen Tod durch Hildebrands Hand muss sie ihre Liebe zu Siegfried mit „leide lônen“. Siegfried ist nach einer Jagd im Odenwald von Hagen hinterrücks mit dem Speer getötet worden. Bei Nacht wird sein Leichnam über den Rhein gefahren und nach Worms gebracht. Kriemhild findet den erschlagenen Siegfried 1003 Von grô  er übermüete muget ir hœren sagen, und von eislîcher râche. dô hie  Hagene tragen Sîfrit alsô tôten von Nibelunge lant für eine kemenâten dâ man Kriemhilde vant. [...] 1007 Dô si mit ir vrouwen zem münster wolde gân, dô sprach der kamerære: „jâ sult ir stille stân! e  lît vor disem gademe ein ritter tôt erslagen.“ dô begonde Kriemhilt vil harte. unmæ  lîche klagen. 1008 Ê da  si rehte. erfunde da  i  wære. ir man, an die Hagenen vrâge denken si began, wie er in solde vristen: dô wart ir êrste leit. von ir was allen vreuden mit sînem tôde widerseit. 1009 Dô seic si zuo der erden, da  si niht ensprach: die schœnen vreudelôsen ligen man dô sach. Kriemhilde jâmer wart unmâ  en grô  : do erschrê si nâch unkrefte da  al diu kemenâte. erdô  . 1010 Dô sprach da  gesinde: „wa  ob e  ist ein gast?“ da  bluot ir û  dem munde von herzen jâmer brast. dô sprach si: „e  ist Sîfrit, der mîn vil lieber man: e  hât gerâten Prünhilt, da  e  hât Hagene getân.“ [...] Hört nun erzählen von wildem Frevel 1 und grausamer Rache! Da ließ Hagen den toten Siegfried von Nibelungenland vor die Kemenate 2 bringen, in der Kriemhild schlief. [...] Als sie nun mit ihren Damen zum Münster 3 aufbrechen wollte, da sagte der Kämmerer: „Wartet doch noch einen Augenblick! Vor dem Gemach 4 liegt ein toter, erschlagener Ritter!“ Da brach Kriemhild in maßloses Klagen aus. Bevor sie noch festgestellt hatte, dass es auch wirklich ihr Mann war, dachte sie an Hagens Frage, wie er denn Siegfried schützen könne. Da erst wurde sie so recht von Schmerz ergriffen. Denn mit Siegfrieds Tod entsagte sie allem irdischen Glück. Da sank sie ohnmächtig zur Erde, sodass sie nicht mehr sprechen konnte. Man sah die schöne, unglückliche Frau am Boden liegen. Dann aber fand der Ausbruch ihres Schmerzes keine Grenzen mehr: Da schrie sie nach ihrer Ohnmacht so laut auf, dass die ganze Kemenate davon widerhallte. Da sagte die Dienerschaft: „Vielleicht ist es ein Fremder!“ Doch ihr schoss vor tiefem Schmerz das Blut aus dem Mund. Da sagte sie: „Es ist Siegfried, mein geliebter Mann. Brünhild hat es geraten, Hagen hat es getan!“ [...] 1 Frevel: Übeltat, Schandtat 2 Kemenate: Wohnraum der Frauen auf einer Burg 3 Münster: Dom, Kirche 4 Gemach: Zimmer, Wohnraum Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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