Killinger Literaturkunde, Schulbuch

143 60 65 70 75 80 85 Solch’ Rede geht geheim von Mund zu Mund. – Dein Glück, o Vater, ist auch mir das Höchste, nichts schätz’ ich höher auf der ganzen Welt. Denn welchen größren Stolz wohl könnt’ es geben für Söhne als des Vaters Ehr’ und Ruhm, wie für den Vater seiner Kinder Glück. Nur – eines glaub nicht allzu fest, dass nur was du sagst und nichts andres richtig sei. Denn wer allein sich selbst für weise hält, ihm sei kein andrer gleich an Geist und Rede, der ward, geprüft, gar oft als hohl befunden. Selbst für den weisen Mann ist’s keine Schande, zu lernen und nicht allzu starr zu sein. [...] CHORFÜHRER (eindringlich) : Hör ihn, o Herr, sprach er doch klug und recht, und du, der Vater; beide spracht ihr gut. KREON (gereizt) : Soll ich, so alt, mir Weisheit etwa holen bei ihm, der noch so jung an Jahren ist? HAIMON: Nichts Ungerechtes fordr’ ich. Bin ich jung, die Taten, nicht die Jahre soll man prüfen. KREON: Ja, eine Tat ist’s, Ungehorsam ehren. HAIMON: Für Frevler werde ich nie Ehren fordern. KREON: Und diese wär’ des Frevels schuldig nicht? HAIMON: Dies eben leugnet Thebens ganzes Volk. KREON: Und hat die Stadt mir etwas zu befehlen? HAIMON: Sieh doch, nun sprachst du allzu jugendlich. KREON: Für mich regier’ ich dieses Land allein. HAIMON: Das ist kein Staat, der einem Mann gehört. KREON: Und ist der Staat denn nicht dem Herrscher eigen? 90 95 100 105 HAIMON: In öder Wüste herrschst du so allein. KREON: Seht, wie in allem er dem Weibe hilft! HAIMON: Das Weib bist du! Für dich bin ich besorgt. KREON: Nichtswürd’ger, mit dem Vater rechtest du? HAIMON: Ja, denn ich sehe, dass du Unrecht tust! KREON: Ein Unrecht? Nie! Ich ehre nur mein Amt. HAIMON: O nein, denn du verachtest Götterrecht. KREON (in höchstem Zorn aufbrausend) : Verworfner, einem Weibe untertan. HAIMON: Doch keiner schlechten Sache drum ergeben. KREON: Was du gesprochen, war für jene nur. HAIMON: Für dich und mich und – für die Totengötter. KREON: Du Weiberknecht, du wirst mich nicht beschwatzen. HAIMON: Du willst nur reden, aber niemals hören. KREON: Im Leben wird sie dir nie angetraut. HAIMON: Und stirbt sie, nimmt im Tod sie einen mit. aw8h7q die deutSche KlaSSiK | 1786 – 1805 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=