Killinger Literaturkunde, Schulbuch

12 Höfische Literatur Neben die religiöse Literatur der Mönche und die Volksdichtung (Lieder, Schwänke) trat seit 1170 die höfische Literatur. Die Dichter der höfischen Gesellschaft verwendeten eine Sprachform, die frei von derben Ausdrücken und Dialektwörtern war. Dadurch konnte sie in weiten Teilen des deutschen Sprachraums verstanden werden und wurde zur ersten überregionalen Dichtersprache. Sie verfiel jedoch mit dem Niedergang des Ritterstandes und seiner Dichtung. Hauptkennzeichen der höfischen Dichtung: 1. Sie war Standesdichtung, d. h., sie wurde Adeligen vorgetragen und handelte vom Leben der Adeligen. 2. Sie war idealistisch, d. h., sie zeigte den Ritter als Idealtyp auf seinem Weg, ein vollkommener Mensch zu werden. 3. Sie war streng formal, d. h., Sprache, Vers, Reim, Aufbau waren ebenso festgelegt wie die Gat- tungsformen. Die meisten Texte waren nicht individuell geprägt. Die vorherrschenden Formen der mittelhochdeutschen höfischen Dichtung waren Epos, Verserzäh- lung und Minnelied. Die weitaus größte Zahl der handgeschriebenen Bücher war jedoch in lateini- scher Sprache abgefasst und behandelte religiöse Inhalte. Der höfische Dichter trug seine Werke der Adelsgesellschaft aus dem Gedächtnis in einer Art Sprech- gesang vor und begleitete sich selbst auf einer Fiedel oder einer Laute. Manchmal entstammte er dem Rittertum und betrieb das Dichten nebenher; meist musste er aber als „fahrender Sänger“ von seiner Kunst leben, weil er nicht begütert war. Dann zog er von einer Burg zur anderen und war von der Freigebigkeit der Herren abhängig. Vielfach bedeutete seine Ankunft willkommene Abwechs- lung im Leben auf der Burg, besonders im Winter, und gab Anlass zu Festen. Der höfische Dichter regte mit seinem Vortrag die Phantasie an und konnte von den Ereignissen in der Welt berichten. Da der fahrende Sänger oder Spielmann in keinem Dienstverhältnis stand, war er zwar äußerlich unabhängig, aber auch schutzlos und ohne Sicherheit. Selbst Walther von der Vogelweide klagte über die materielle Not in seiner Wanderzeit. Rolle des höfischen Dichters Darstellung Gottfrieds V. von Anjou auf der Grabplatte seines Grabes in der Kathedrale von Le Mans. Die Inschrift am Kopfende der Grabplatte lautet: ENSE TUO PRINCEPS PREDONUM TURBA FUGATUR ECCLESIISQ[UE] QUIES PACE VIGENTE DATUR. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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