Killinger Literaturkunde, Schulbuch

118 Es gibt in der deutschen Literatur keinen Stoff, der so oft bearbeitet worden ist wie der vom Doktor Faust, der durch einen Pakt mit dem Teufel magische Kräfte gewinnt, dadurch die menschliche Sphäre überwindet und Einblicke in andere Welten erhält. Die Vorstellung von der Überschreitung der engen menschlichen Grenzen ist offenbar immer mit der Vorstellung des Sündhaften verbunden, der vermessenen Überheblichkeit, die mit der Hölle bestraft wird. Die Ursprünge des Teufelspakts gehen bis ins Mittelalter zurück (vgl. auch verschiedenste Sagen, in denen es zu einem Teufelspakt kommt). Der historische Georg Faust (1480 – 1540) ist die mehr oder weniger zufällige Kristallisationsfigur dieses Urstoffes der deutschen Literatur, eines Stoffes, der etwa auch an der Figur des Paracelsus hätte dargestellt werden können. Faust, ein Bauernsohn, studierte in Wittenberg, trieb sich dann an vielen Universitäten Deutschlands herum und hielt Vorlesungen über Gebiete aus den damaligen Modewissenschaften Medizin, Astrologie und Alchemie. Mehrere Zeitgenossen, auch aus dem Kreis Luthers, erwähnten ihn, meist allerdings in negativem Sinn. Schon zu seinen Lebzeiten gingen Ge- rüchte über ihn um: Er könne Tote und Geister beschwören, die Zukunft prophezeien und habe in Venedig einen Flugversuch unternommen. Damals wie heute beflügelte die unbändige Neugier der Menschen die Phantasie, in Bereiche ein- zudringen, die dem Menschen verschlossen sind. Bereits 47 Jahre nach Fausts mystifiziertem Tod – plötzlich soll ihn der Teufel geholt haben – wurde die Historia von D. Johann Fausten, dem weit- beschreyten Zauberer und Schwartzkünstler gedruckt, und der Verleger machte ein gutes Geschäft, denn noch im selben Jahr (1587) wurden vier Nachdrucke notwendig. Der ungenannte (und uns unbekannte) Verfasser trug die mündlich überlieferten Geschichten zusammen, schrieb aber auch aus älteren Druckwerken ab. So wurde das Volksbuch vom Doktor Faust (ähnlich wie das vom Eulenspiegel) zwar kein Roman mit einer entwickelten Handlung, aber eine wirkungsvolle Sammlung einzelner in sich geschlossener Geschichten, die den Vorteil hatten, dass in den vielen späteren Drucken weitere Geschichten ein- gefügt werden konnten. Der erste Verfasser muss – von seiner Zeit geprägt – ein tiefes Misstrauen gegen das Erkenntnisstreben des Menschen gehegt haben und ein protestantischer Sitteneiferer gewesen sein; denn der Zweck seines Buches war ein religiös-moralischer: Die Leser/innen sollten zwar ihre Sensationslust und Neugier bis hin zu erotischen Tagträumereien (Faust kommt auch in einen türkischen Harem) stillen können, aber durch das Schicksal Fausts davor gewarnt werden, sich dem Bösen zu verschreiben. Der geschichtliche Faust Der sündhaft überhebliche Faust DIE GESCHICHTE VON DOKTOR FAUST, DEM TEUFELSBÜNDLER (LÄNGSSCHNITT) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verla s öbv

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