Killinger Literaturkunde, Schulbuch
113 Ausschnitt aus einer anonymen Rezension im Magazin der Philosophie und schönen Literatur , Leipzig (1785): 1 5 In der Gegend von Bayern und Schwaben rotteten sich vor nicht langer Zeit gefährlich schwärmende Jünglinge zusammen und wollten nichts Geringeres ausführen, als sich durch Mord und Mordbrennerei auszuzeichnen und einen Namen zu machen oder dem großen Drange nachzugeben, Räuber und Mordbrenner zu werden. – Und welcher Anlass konnte solche unglückliche, in der Imagination 1 versengte Menschen verleiten und sie auf den Grad von Ausschweifungen bringen, wenn wir es aufs Gelindeste benennen? Sie wollten Schillers „Räuber“ realisieren. 12. Vergleichen Sie die verschiedenen Aspekte, die in diesen Rezensionen angesprochen werden (Sprache, Darstellungsweise, Rezeption). Das bürgerliche Trauerspiel Das bürgerliche Trauerspiel ist ein epochenübergreifendes Phänomen, das seine Wurzeln im 18. Jahrhundert hat. Als Vorläufer gilt das Trauerspiel Cardenio und Celinde (1657) von Andreas Gry- phius, der darin erstmals die Ständeklausel (vgl. Seite 54) umging. Es zeigt – im Gegensatz zur bis- herigen Auffassung von der Tragödie – Vertreter/innen des Bürgertums in einem tragischen Konflikt. Zugleich wandelt sich der öffentliche Charakter der Tragödie in einen privaten: Wenn Heldinnen und Helden und Herrscher durch tragische Schuld zugrunde gehen, so wird dies zu einer historischen Katastrophe. Wenn ein Bürgerlicher scheitert, bleiben die Auswirkungen in engen Grenzen. 13. Illustrieren Sie Martin Opitz’ Begründungen für die „Ständeklausel“ in seiner Poetik. Die bürgerlichen Trauerspiele des 18. Jahrhunderts bringen die Auflehnung der Bürgerin oder des Bürgers gegen die aristokratische Gesellschaftsordnung und die moralische Verworfenheit des Adels auf die Bühne. Sie setzen bürgerliche Tugenden, wie Humanität, Toleranz, Gerechtigkeit, Sittlichkeit, Gefühlsleben und Ehrlichkeit, dagegen. Dennoch scheitern die bürgerlichen Helden und Heldinnen, und zwar an den herrschenden Verhältnissen und an ihren eigenen Gefühlen: Emilia Galotti (in Lessings gleichnamigem Drama) wird beispielsweise auf eigenen Wunsch vom Vater getötet, um ihre Ehre zu bewahren, das von einem Adeligen verführte Evchen (in Heinrich Leopold Wagners Die Kindermörderin ) bringt ihr uneheliches Kind aus Verzweiflung um. Die Sprache ist nicht mehr in Verse gebunden wie früher. In bewusstem Gegensatz dazu schreiben die Stürmer und Dränger eine expressive Prosa. Im bürgerlichen Realismus erwächst der Konflikt nicht mehr aus dem Standesunterschied zwischen Bürgertum und Adel, sondern aus der moralischen Beschränktheit und Verhärtung des Kleinbürger- tums selbst: In dem Drama Maria Magdalene (1843) von Friedrich Hebbel treibt der Vater seine Tochter Klara, die sich nicht nur ihrem Bräutigam, sondern auch einem früheren Jugendfreund hin- gegeben hat, in die Katastrophe. Die naturalistischen Dramen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben wurden, stellen zwar auch Konflikte innerhalb des Bürgertums dar, das vielfach mit seinen seelischen Problemen Bürgerliche Moral und herrschaftliche Unmoral 1 Imagination: Vorstellung 9y8fq8 DER STURM UND DRANG | 1770 – 1785 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum es Verlags öbv
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