Killinger Literaturkunde, Schulbuch
111 1 5 10 15 20 25 30 35 40 SCHWEIZER, ROLLER (hinter der Szene) : Holla ho! Holla ho! RAZMANN: Roller! Roller! holen mich zehn Teufel! SCHWEIZER, ROLLER (hinter der Szene) : Razmann! Schwarz! Spiegelberg! Razmann! RAZMANN: Roller! Schweizer! Blitz, Donner, Hagel und Wetter ! (Fliegen ihm entgegen.) (Räuber Moor zu Pferde. Schweizer, Roller, Grimm, Schufterle, Räubertrupp, mit Kot und Staub bedeckt, treten auf.) RÄUBER MOOR (vom Pferde springend) : Freiheit! Freiheit! – – Du bist im Trocknen, Rol- ler! Führ meinen Rappen ab, Schweizer, und wasch ihn mit Wein. (Wirft sich auf die Erde.) Das hat gegolten! RAZMANN (zu Roller) : Bist du vom Rad auferstanden? SCHWARZ: Bist du sein Geist? oder bin ich ein Narr? oder bist du’s wirklich? ROLLER (in Atem) : Ich bin’s. Leibhaftig. Ganz. Wo glaubst du, dass ich herkomme? SCHWARZ: Da frag die Hexe! Der Stab war schon über dich gebrochen. 1 ROLLER: Das war er freilich, und noch mehr. Ich komme recta 2 vom Galgen her. Lass mich nur erst zu Atem kommen. Der Schweizer wird dir erzählen. Gebt mir ein Glas Branntwein! – Du auch wieder da, Moritz? Ich dachte, dich woanders wiederzusehen. – Gebt mir doch ein Glas Branntwein! meine Knochen fallen auseinander – o mein Hauptmann! wo ist mein Hauptmann? SCHWARZ: Gleich, gleich! – so sag doch, so schwätz doch! Wie bist du davongekommen? Wie haben wir dich wieder? Der Kopf geht mir um. Vom Galgen her, sagst du? ROLLER (stürzt eine Flasche Branntwein hinunter) : Ah! das schmeckt, das brennt ein! – Gerades Wegs vom Galgen her, sag’ ich. Ihr steht da und gafft, und könnt’s nicht träumen – ich war auch nur drei Schritte von der Sackermentsleiter 3 , auf der ich in den Schoß Abra- hams 4 steigen sollte – so nah, so nah – war dir schon mit Haut und Haar auf die Anatomie verhandelt! Hättest mein Leben um’n Prise Schnupftabak haben können. Dem Hauptmann dank’ ich Luft, Freiheit und Leben. SCHWEIZER: Es war ein Spaß, der sich hören lässt. Wir hatten den Tag vorher durch unsere Spione Wind gekriegt, der Roller liege tüchtig im Salz 5 , und wenn der Himmel nicht bei Zeit noch einfallen wollte, so werde er morgen am Tag – das war heute – den Weg allen Fleisches gehen müssen. 6 Auf! sagte der Hauptmann, was wiegt ein Freund nicht? – Wir retten ihn oder retten ihn nicht, so wollen wir ihm wenigstens doch eine Todesfackel anzünden, wie sie noch keinem Könige geleuchtet hat, die ihnen den Buckel braun und blau brennen soll. Die ganze Bande wird aufgeboten. Wir schicken einen Expressen an ihn, der’s ihm in einem Zettelchen beibrachte, das er ihm in die Suppe warf. ROLLER: Ich verzweifelte an dem Erfolg. SCHWEIZER: Wir passten die Zeit ab, bis die Passagen leer waren. Die ganze Stadt zog dem Spektakel nach, Reiter und Fußgänger durcheinander und Wagen, der Lärm und der Galgenpsalm 7 johlten weit. Jetzt, sagte der Hauptmann, brennt an, brennt an! Die Kerle ogen wie Pfeile, steckten die Stadt an dreiunddreißig Ecken in Brand, warfen feurige Lunten in die Nähe des Pulverturms, in Kirchen und Scheunen – Morbleu! 8 es war keine 1 den Stab über jemanden brechen: ein Urteil sprechen 2 recta: auf direktem Weg 3 Sackermentsleiter: Leiter zum Empfang der Sterbesakramente 4 Schoß Abrahams: Ort des Wartens, bevor der Messias den Verstorbenen die Pforten des Himmels öffnet 5 im Salz liegen: in Bedrängnis, gefangen sein 6 den Weg allen Fleisches gehen müssen: sterben 7 Galgenpsalm: gesungen von Schulkindern, die den Verurteilten zur Hinrichtungsstätte begleiteten 8 Morbleu: französischer Fluch („beim Tod Gottes“) ug8v65 DER STURM UND DRANG | 1770 – 1785 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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