Killinger Literaturkunde, Schulbuch

11 Bedeutungsentwicklung frouwe – wîp: Im Zuge der Sprachentwicklung kommt es immer wieder zu Bedeutungsveränderungen. Dieses Phänomen lässt sich gut am folgenden Beispiel beobachten: frouwe (mhd): (gehobene) Frau, Dame wîp (mhd): Frau (neutral, nicht abwertend) Frau (nhd): Frau (neutral) Weib (nhd): Frau (abwertend) Seit dem Mittelalter haben diese Begriffe eine deutliche Bedeutungsverschiebung erfahren. DER RI TTER unD sEInE wELT Den höfischen Ritter kennzeichnete eine Reihe von Tugenden und Wertvorstellungen. An oberster Stelle standen „êre“ (ritterliche Ehre), „zuht“ (Selbstdisziplin) und „mâ  e“ (Maßhalten der Leiden- schaften). Die Zugehörigkeit zur höfischen Gesellschaft führte zu einem Hochgefühl, zum „hohen muot“. Der Begriff hat viele Bedeutungen und ist am ehesten mit Selbstbewusstsein zu umschrei- ben. Mit „vröude“ meinte man die Lust am Leben, der das Versündigungselend und die Furcht vor ewigen Strafen entgegenstanden. Die niedrige Lebenserwartung, die eingeschleppten Krankheiten und Seuchen sorgten für ein ständiges „memento mori“ 1 . Der junge Ritter wurde zuerst als Page von Frauen an einem fremden Hof erzogen, dann als Knappe militärisch ausgebildet. Die Frau wurde als das feinere, vollkommenere Geschöpf angesehen und war deshalb berechtigt, den Ritter zu erziehen. Im Hochmittelalter gehörte auch die Unterweisung in höfischem Betragen und in Musik zur Ausbildung. Die Schwertleite (der Ritterschlag) machte den Knappen zum Ritter. In den Kreuzzügen entwickelte der Ritterstand ein übernationales Standesbewusstsein; er fühlte sich als Streitmacht Gottes und deswegen über alle anderen Menschen erhoben. Die Blütezeit des Ritterstandes fällt in die Regierungszeit Kaiser Friedrich Barbarossas (1152 – 1190). Auf dem Zusammengehörigkeitsgefühl des Ritterstandes beruhte seine gesellschaftliche, aber auch seine kulturelle Bedeutung. Der Ritter löste im 12. Jahrhundert das Mönchstum als Träger der Kultur ab. Das Schwergewicht verlagerte sich von den Klöstern in die Burgen. Könige und Fürsten übten ihre Herrschaft nicht mehr nur auf Reisen durch ihre Lande aus, sondern errichteten ständige Resi- denzen, die eine große Bedeutung als Kulturstätten gewannen. Die verfeinerte höfische Lebensart und Kultur entwickelte sich zuerst in Frankreich und kam von dort in den deutschen Raum. Die kulturellen Zentren lagen im süddeutschen Raum: am staufischen Hof in Schwaben, an den Höfen in Bayern, Ostfranken und Österreich. 1 Memento mori: Bewusstsein des Todes, der Vergänglichkeit (= „Denke daran, dass du sterben musst.“) Wertesystem Fürstenhöfe als Zentren der Kultur r6i2u3 DAS HOCHMITTELALTER | 1170 – 1230 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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