Killinger Literaturkunde, Schulbuch
101 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 Johann Wolfgang Goethe Prometheus (1774) Bedecke deinen Himmel, Zeus, Mit Wolkendunst Und übe, dem Knaben gleich, Der Disteln köpft, An Eichen dich und Bergeshöhn! Musst mir meine Erde Doch lassen stehn, Und meine Hütte, die du nicht gebaut, Und meinen Herd, um dessen Glut Du mich beneidest. Ich kenne nichts Ärmer’s Unter der Sonn’ als euch Götter. Ihr nähret kümmerlich Von Opfersteuern Und Gebetshauch Eure Majestät Und darbtet, wären Nicht Kinder und Bettler Hoffnungsvolle Toren. Da ich ein Kind war, Nicht wusste, wo aus noch ein, Kehrt’ ich mein verirrtes Auge Zur Sonne, als wenn drüber wär’ Ein Ohr, zu hören meine Klage, Ein Herz wie meins, Sich des Bedrängten zu erbarmen. Wer half mir wider Der Titanen Übermut? Wer rettete vom Tode mich, Von Sklaverei? 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 Hast du nicht alles selbst vollendet, Heilig glühend Herz? Und glühtest, jung und gut, Betrogen, Rettungsdank Dem Schlafenden da droben? Ich dich ehren? Wofür? Hast du die Schmerzen gelindert Je des Beladenen? Hast du die Tränen gestillet Je des Geängsteten? Hat nicht mich zum Manne geschmiedet Die allmächtige Zeit Und das ewige Schicksal, Meine Herrn und deine? Wähntest du etwa, Ich sollte das Leben hassen, In Wüsten iehn, Weil nicht alle Blütenträume reiften? Hier sitz’ ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht, das mir gleich sei, Zu leiden, zu weinen, Zu genießen und zu freuen sich, Und dein nicht zu achten, Wie ich. 4. Untersuchen Sie die Darstellung des Prometheus als Genie, das sich gegen die Götterwelt auflehnt: • Vergleichen Sie die Rolle des Prometheus und die des Zeus, des obersten der Götter. • Erläutern Sie, worauf Prometheus stolz ist. • Deuten Sie die erste und die letzte Zeile des Textes. • Beschreiben Sie, welchen Mächten beide, Prometheus und Zeus, unterworfen sind. • Stellen Sie den formalen Unterschied zu einem Sonett (z. B. von Gryphius, vgl. Seite 62) fest. Der Prometheus -Hymnus wurde ohne Goethes Zustimmung veröffentlicht und in den Streit zwischen philosophischen Freigeistern und strenggläubigen Theologen gezogen. Das Gedicht ist jedoch nicht zureichend gedeutet, wenn man nur die Auflehnung gegen Gott sieht. Prometheus versinnbildlicht tx4t7k DER STURM UND DRANG | 1770 – 1785 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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