Killinger Literaturkunde, Schulbuch

10 DIE MI TTELALTERL IcHE gEsELLscHAfTsoRDnung Die Zeit ist durch eine Dreiständegesellschaft gekennzeichnet: Ritterschaft (Wehrstand), Bauern (Nährstand) und Geistlichkeit (Lehrstand) waren deutlich voneinander abgegrenzt und doch aufei- nander bezogen. Das Feudalsystem (feudum = Lehen) gliederte die Gesellschaft stufenförmig. Der König stand an der Spitze der Gesellschaftsordnung und vergab an seine Untergebenen Lehen oder Ämter. Inhaber großer Lehen gaben Teile davon weiter, natürlich nur gegen vereinbarte Dienstleistungen. Es galt der Grundsatz: Kein Lehen ohne Dienst, kein Dienst ohne Lehen. Zwischen den Endpunkten der Lehensordnung war jeder somit Lehensherr und auch Lehensmann und stand in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Abhängigkeit zum jeweils anderen. Der Lehensherr war zu „milte“ (Freigebigkeit) verpflichtet, der Lehensmann zu „triuwe“ (Treue und Gehorsam). Der Untergebene genoss militärischen Schutz, zu seinen Pflichten zählte jedoch auch der Kriegs- dienst für den Lehensherrn. Der Ritter bildete als gerüsteter Reiter den Kern und die Stärke des Heeres. Seine wirtschaftliche Lebensgrundlage war Land, das persönliches Eigentum oder Lehen sein konnte. Die adeligen Ritter galten grundsätzlich als gleich, doch die sozialen Unterschiede waren sehr groß. Auf der untersten Stufe des Lehenswesens stand der Ministeriale, der Reiterdienst versah, aber unbemittelt war (niederer Dienstadel). Viele Dichter stammten aus Ministerialenfamilien. Der Bauernstand bildete die wirtschaftliche Grundlage der Gesellschaft und war durch große soziale Unterschiede gekennzeichnet. Unter ihnen gab es Freie (in Tirol und in der Schweiz); Zinsleute, die zwar persönlich frei waren, aber Abgaben zu entrichten hatten; Hörige, die Frondienste und Abga- ben leisten mussten; Leibeigene, die als Eigentum ihres Herrn galten. Die bäuerliche Bevölkerung, die Masse des Volkes, konnte sich der Abhängigkeit nur durch die Flucht in die Städte entziehen, die im 12. und 13. Jahrhundert stark wuchsen. Der Zugereiste musste durch Fleiß und Geschick in einem Handwerk zu seinem Lebensunterhalt kommen. Eine neue Schicht entstand: die Bürger. Auf dem Markt wurden handwerkliche Erzeugnisse gegen Nahrungsmittel getauscht. Neben dem Handwerk entwickelte sich der Handel – eine arbeitsteilige Gesellschaft entstand. Auch die Geistlichkeit war in das Lehenssystem eingebunden. Äbte und Bischöfe waren Lehensmän- ner des Königs, sie waren aber auch dem Papst zu Gehorsam verpflichtet. Die Auseinandersetzung zwischen der weltlichen Autorität, dem König, und der geistlichen Autorität, dem Papst, führte zu großen Spannungen, die sich besonders an der Ernennung von Bischöfen entzündeten (Investitur- streit). Der geistliche Stand war gegliedert in Mönche (in Klöstern) und Weltgeistliche. Eine besondere Gruppe bildeten abgesprungene Theologen, die als „Vaganten“ („Fahrende“) zu Trägern einer ei- genen Literaturform wurden. Sie verfassten Trink-, Liebes- und Tanzlieder, Satiren und Schwänke in realistisch-volkstümlichem Ton. Ihre Vorbilder waren Ovid, Horaz und Vergil (Vagantenlyrik). Das Lehenswesen Gesellschafts- struktur Staat und Kirche HOCHMITTELALTER ETWA 1170 BIS 1230 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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