Zeitbilder 8, Schulbuch
M1 Über die Möglichkeiten, mit Hilfe von Medien am Leben anderer Menschen teilzunehmen: Warum zieht uns der Alltag anderer derart in Bann? Für den Wiener Internet- und Neue-Medien-Exper- ten Gerald Kral liegen die Gründe dafür in unserer natürlichen Neugier und dem ständigen Bedürfnis, uns mit anderen zu vergleichen (…) „Auf Facebook und Twitter ständig auf dem Laufenden zu sein und die neuesten Postings und Fotos zu kennen, ver- schafft uns zudem ein Zugehörigkeitsgefühl, eine gewisse Nähe zu einer Gruppe von Personen. Wir positionieren uns und definieren unseren Status (…) Junge Mädchen und Buben sehen im Fernsehen an- dere Jugendliche, wie sie angeblich innerhalb kür- zester Zeit 50 Flaschen Jägermeister trinken, und wundern sich, warum sie das selbst nicht schaffen.“ Hier ist laut Kral die Entwicklung einer Medienkom- petenz gefragt – das Bewusstsein dafür, einer unrea- listischen Darstellung der Wirklichkeit mit kritischer Distanz zu begegnen. „Dieses Bewusstsein ist auch im Umgang mit sozialen Netzwerken wichtig.“ Denn Facebook sei kein repräsentatives Medium, „das ist schon einmal die erste Auswahl“, sagt Kral. „Die zweite ist, dass Facebook-Nutzer ständig Bilder von sich hochladen, auf denen gelacht, gereist und gefei- ert wird. Also müssen sie glücklich sein, interpretiert unser Wahrnehmungsapparat, der aber bei seinen Urteilen die Situation außer Acht lässt.“ (…) die Nei- gung, in der Beurteilung von jemandem die Perso- neneigenschaften zu über- und die Situation zu un- terschätzen – sind laut Kral ein Grund dafür, warum das Verfolgen der Postings und Fotos von Facebook- Freunden „runterziehen und ein ungutes Gefühl hinterlassen kann.“ (…) Und weil wir uns auf Platt- formen wie Facebook gern von unserer Zuckerseite präsentieren, wird das Leben der Facebook-Freunde als glücklicher angesehen. (Baltaci, Das Leben der anderen, Die Presse online, 21.07.2012) M2 Ein Bericht der deutschen Jugendministerien (2012) ergab, dass Neonazis größtenteils über Facebook, YouTube und Twitter ihre Hetzbotschaften verbreiten: Geschickt missbrauchen die Hetzer die Plattformen, auf denen sich die Jugendlichen austauschen (…) Sie errichten zum Beispiel ein scheinbar harmloses Facebook-Profil unter dem Titel „Stoppt Kindesmiss- brauch“ – ein hoch emotionales, zustimmungsfä- higes Thema. Mehr als 35 000 User sagen „I Like“ dazu, viele teilen den Aufruf mit ihren „Freunden“. Erst auf den zweiten Blick wird klar, wer dahinter- steckt: Es ist die NPD, die da „härtere Strafen“ for- dert. Und es ist eine rechtsextreme Kameradschaft, die zum Flashmob gegen Kinderschänder aufruft. Die Präsenz auf den Plattformen bietet für Neonazis viele Vorteile: Sie können sich als Teil der Zivilge- sellschaft positionieren (…) Die Extremisten zeigen sich in einem für die User vertrauten Umfeld, durch Postings und Links an harmlosen Stellen. Ihre Agi- tation ist meist weniger offensichtlich als auf ihren eigenen Webseiten, die deshalb oft verboten und gelöscht werden. Massenhafte, auch künstlich gene- rierte „Gefällt mir“-Einträge suggerieren, sehr viele Menschen stünden hinter den Forderungen. Und von den Rekrutierungsaktionen unter Jugendlichen be- kommen die Eltern nichts mit: Die neuen, schlimmen Freunde der Kinder brauchen gar nicht mehr mit nach Hause kommen: Man trifft sich auf Facebook. (Gaulhofer, Deutschland: Neonazis stürmen Facebook @Co, „Die Pres- se“ online, 11.7.2012) M3 „Reality-TV“ , Doku-Soaps und Internet-Blogs als Bestandteil der Medienkultur: Die Fernsehentwicklung der 90er-Jahre hat den All- tag zum Unterhaltungsgegenstand gemacht. Reality- TV, Doku-Soaps und Daytime-Talkshows erlauben es völlig unprominenten Bürgerinnen Teilzeitstar für ein paar Stunden zu werden. Sie bewerben sich zu Tausenden, um in das Fernsehen zu kommen. Am Ende steht aber mitunter ein Erschrecken über die Intensität bei der Beteiligung an der selbstgewähl- ten Zerstörung der Privatheit und das Erwachen im Gelächter der Zuschauer. Rechtlich bewegt sich dies weitgehend in einem „grauen Bereich“. (…) Heute unterhalten in erheblichem Umfang nicht mehr Stars und Prominente, sondern Amateure, beispielsweise in Gerichtsshows, die mit der Realität oftmals nicht viel mehr als die verwendeten Kostüme gemein ha- ben. Diese wenigstens scheinbar realen Erlebnis- strukturen haben das Fiktionale im Fernsehen zu- rückgedrängt, zumal dadurch die Produktionskosten erheblich gesenkt werden konnten (…) Mit „Real world“ folgte 1992 auf MTV die wohl erste Doku- Soap, die das Leben einer Wohngemeinschaft zeigte, (…) „Big Brother“ war nur eine konsequente Folge der eigenen Selbstkommerzialisierung durch voll- ständiges Öffnen der Schranken der Privatheit (…) Die Produzenten haben längst entdeckt, dass diese Formate eine Spannung erzeugen, die dem voyeuris- tischen Trieb vieler Zuschauer entgegen kommt und Quoten erzeugt. Quote und Auflage sind inzwischen fast die einzig verbliebenen Maßstäbe für Mediener- folg. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität ver- schwimmen hier, weil letztlich kein Zuschauer weiß, ob und was nach „Drehbuch“ gedreht wird, zumal auch derartige Formate auf bestimmten Konzepten beruhen und Regieanweisungen folgen. Die Protago- nisten werden auch in Doku-Soaps oftmals nur einge- setzt wie Laienschauspieler. (Hansen, Aspekte der Zerstörung von Privatheit und Intimität, Teleopolis online, 13.06.2006) M4 Der Österreicher Max Schrems wollte wissen, welche Informationen Facebook über ihn speicherte – und löste damit das größte Datenschutzverfahren in der Geschichte des Unternehmens aus (2012): Die Antwort, die er von demNetzwerk erhielt, übertraf seine Befürchtungen: Alle Daten, die er gelöscht hat- te, waren immer noch da. Statusmeldungen, Freun- desanfragen und private Nachrichten. Facebook hat- te alle persönlichen Informationen des Österreichers 4. Bedeutung und Einfluss der neuen Medien 152 Kompetenzmaterial Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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