Zeitbilder 8, Schulbuch

4.7 Südostasien: Die Fallbeispiele Indonesien und Timor-Leste Indonesien: Die politische Entwicklung … Indonesien ist der Staat mit der weltweit größten musli- mischen Bevölkerungsgruppe. Das Land hat seit seiner Unabhängigkeit von den Niederlanden im Jahr 1949 (vgl. Zeitbilder 7, S. 135) eine wechselhafte, oft leidvolle Geschichte erlitten. So wurden z. B. beim Machtantritt von Suharto, dem Nachfolger Sukarnos, im Jahr 1965 mehrere Hunderttausend Menschen ermordet oder in Konzentrationslagern inhaftiert. Dies geschah unter dem Vorwand, einen von China unterstützten kom- munistischen Umsturz zu planen. Nach dem Sturz der Diktatur Suhartos im Jahr 1998 bemühte man sich de- mokratische Strukturen aufzubauen. Nun wurden auch von politischer Seite erste Schritte gesetzt, um die Gräu- el der Diktatur aufzuarbeiten. Seit Beginn des 21. Jh. sind demokratische Wahlen für die weitere Entwicklung Indonesiens von besonderer Bedeutung. Im Jahr 2004 – sechs Jahre nach dem Ende der Diktatur – fanden drei große Wahlentscheidungen statt: –– Die Wahlen zum Parlament, –– Die Regionalwahlen, –– Die erste direkte Wahl für die Ämter des Präsidenten und Vizepräsidenten. Fast 150 Mio. Wahlberechtigte wählten ein neues Abge- ordnetenhaus, in dem zum ersten Mal demMilitär keine Sitze mehr vorbehalten waren. Erstmals war auch die 2002 geschaffene Kammer der Regionen zu wählen, in der die Provinzen des Landes vertreten sind. Gleichzei- tig fanden Regionalwahlen statt, bei denen rund 50 000 Mandate in 400 Distrikten und lokalen Verwaltungsein- richtungen vergeben wurden. Bei den Wahlen für das Parlament kandidierten 24 Parteien, von denen fünf religiös orientiert waren. Die alte Staats- und Einheits- partei „Golkar“ wurde wieder die stärkste Partei. Die „Demokratische Partei des Kampfes“ der amtierenden Präsidentin Sukarnoputri, einer Tochter von Staatsgrün- der Sukarno, erreichte den zweiten Platz. An der dritten und vierten Stelle landeten die muslimisch orientierten, religiös aber zurückhaltenden Parteien „Nationale Er- weckungspartei“ und „Vereinigte Entwicklungspartei“. Bei den nächsten Wahlen im Jahr 2009 wurde die „De- mokratische Partei des Kampfes“ die relativ stärkste Partei. Die neue Regierung setzte sich nun aus Mitglie- dern von sechs Parteien zusammen. Unter ihnen befin- den sich Mitglieder von islamischen Gruppen und auch Anhänger des letzten Diktators Suharto. Diese Regierung will bis zum Jahr 2014 die Vorausset- zungen schaffen, dass die gesamte Bevölkerung über eine Krankenversicherung verfügt. Ebenso plante sie, die Pensionsansprüche auf bislang nicht berücksichtig- te Bevölkerungsgruppen auszuweiten. Darüber hinaus sollte auch eine staatliche Arbeitsunfallversicherung eingeführt werden. Diese Möglichkeiten standen bisher in erster Linie nur den Beamtinnen und Beamten offen. Probleme bei dieser groß angelegten Sozialentwicklung bereiten aber die hohe Korruptionsbereitschaft im Land und die starke Dezentralisierung der Verwaltung. Dies erschwert es der Zentralregierung, landesweit Refor- men durchzusetzen. … die wirtschaftliche Entwicklung Die geplanten Sozialreformen werden u. a. dadurch er- möglicht, dass in Indonesien seit zehn Jahren ein Wirt- schaftswachstum von 5 bis 6 Prozent besteht. In erster Linie ist dafür der wachsende Binnenmarkt des „240 Millionen-Staates“ ausschlaggebend. Hinzu kommen die zunehmend enger werdenden Wirtschaftsbeziehun- gen mit den anderen Staaten Südostasiens sowie mit China, Japan, Südkorea und Indien. Aus diesen Län- dern sowie aus den USA und auch aus Europa kommen Investitionen und es werden Niederlassungen gegrün- det. Dies alles macht Indonesien zur inzwischen größ- ten Volkswirtschaft Südostasiens. Dieser wirtschaftliche Aufschwung führte auch dazu, dass Indonesien von einer Expertengruppe für Wirtschaftsentwicklung nun zu den CIVETS-Staaten (Kolumbien, Indonesien, Vi- etnam, Ägypten, Türkei, Südafrika) gezählt wird. Au- ßerdem haben sich Indonesien und die anderen südost- asiatischen Staaten gemeinsam mit China, Japan und Südkorea darauf verständigt, sich in wirtschaftlichen Krisenzeiten finanziell zu unterstützen. Auf diese Wei- se wollen sie von der Politik des Internationalen Wäh- rungsfonds und der Weltbank unabhängiger werden. Regionale Konflikte in Aceh, auf den Molukken und auf Papua Trotz dieser positiven Entwicklungen im politischen und wirtschaftlichen Bereich bestehen in Indonesien große Konflikte, die die Einheit des Staates gefährden. Seit 1976 kämpfte in Aceh, dem nördlichen Teil der Insel Sumatra, die islamische Separatistenbewegung „Bewegung freies Aceh“ für die Unabhängigkeit der rohstoffreichen Region. Nach gescheiterten Friedens- verhandlungen verhängte die Regierung im Jahr 2003 das Kriegsrecht über Aceh. Lokale Menschenrechtsor- ganisationen wiesen darauf hin, dass durch das Militär Hunderte Zivilisten getötet und Tausende Menschen zur Flucht gezwungen wurden. Humanitären Hilfsorga- nisationen und der internationalen Presse hat man den Zugang zur Region verweigert. Die Verhängung des Kriegsrechts wurde auch vom Europäischen Parlament und von jenen Nationen verurteilt, die in Aceh in den wirtschaftlichen Aufbau investiert hatten. Die interna- tionale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch protestierte ebenfalls gegen die Menschen- rechtsverletzungen durch die indonesische Armee. Im Mai 2004 hob die Regierung das Kriegsrecht wieder auf. Darüber hinaus gestand sie der Provinz eine zivile Verwaltung zu, die allerdings formal unter der Aufsicht des Sicherheitsministeriums in Djarkarta steht. Im Rahmen dieser von der Zentralregierung gewährten Freiheiten bringen die regionalen Behörden im musli- misch dominierten Aceh häufig die Scharia, das islami- sche Recht, zur Anwendung. Dies, obwohl Indonesien von der Verfassung her ein säkularer Staat ist, der die Religionsfreiheit garantiert. Auf der ostindonesischen Inselgruppe der Molukken herrschte bis 2003 ebenfalls der Ausnahmezustand. 112 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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