Zeitbilder 7/8, Schulbuch

8. Vom Antisemitismus zum Holocaust (Shoa) Die Stellung der Juden vor 1933 Seit dem Zeitalter der Aufklärung wurden in Europa viele Einschränkungen gegen Jüdinnen und Juden auf- gehoben. Im Laufe des 19. Jh. erhielten sie in den meis- ten Staaten das volle Bürgerrecht – so auch im Deut- schen Reich (1871) und in der Habsburger Monarchie (1867). Viele von ihnen verstanden sich als Deutsche, Österreicher oder Franzosen jüdischer Konfession und waren eng mit ihren jeweiligen Heimatländern verbun- den. Mit dem zunehmenden Antisemitismus strebten einige jedoch auch die Errichtung eines eigenen „Ju- denstaates“ in Palästina (Zionismus) an. Am Ende des 19. Jh. verstärkte sich die rassistische Be- gründung des Antisemitismus, die eine Zughörigkeit der Jüdinnen und Juden zu den europäischen Nationen in Frage stellte. Für viele deutsche Jüdinnen und Juden war dieser immer wieder aufkeimende Antisemitismus aber kein Grund, ihr Land zu verlassen. Dies beweist auch der Aufruf des israelitischen Gemeindevorstands in Frank- furt noch am 30. März 1933: Q Nichts kann uns die tausendjährige Verbunden- heit mit unserer deutschen Heimat rauben, keine Not und Gefahr kann uns den von unseren Vätern ererbten Glauben abspenstig machen. (...) Wenn kei- ne Stimme sich für uns erhebt, so mögen die Steine dieser Stadt für uns zeugen, die ihren Aufschwung zu einem guten Teil jüdischer Leistung verdankt. (...) Verzagt nicht! Schließt die Reihen! Kein ehrenhafter Jude darf in dieser Zeit fahnenflüchtig werden. (Schmid u. a., Juden unterm Hakenkreuz, Bd. 1, 1983, S. 72) 1933–1935: Die gesellschaftliche Ächtung der Juden Jüdinnen und Juden galten den Nationalsozialisten als die größten Feinde des deutschen Volkes. Sie waren die willkommenen Sündenböcke, denen man die Schuld an Not und Elend der Zwischenkriegszeit anlastete. Mit der Machtübernahme Hitlers wurde der Antisemitismus zur Leitlinie der Regierung. Ein erstes unübersehbares Zei- chen war der offizielle Aufruf zum Boykott (= Ausschluss vom Einkauf) jüdischer Geschäfte am 1. April 1933. Seit diesem Tag kam es immer wieder zu Plünderungen und Zerstörungen jüdischer Geschäfte sowie zu körperli- chen Angriffen gegenüber jüdischen Bürgerinnen und Bürgern ohne irgendwelche Folgen für die Täterinnen und Täter. Schon in den folgenden Monaten wurden die Jüdinnen und Juden aus allen öffentlichen Ämtern ent- lassen, für eine Zulassung als Ärztin oder Arzt beispiels- weise wurde der Nachweis nichtjüdischer Abstammung verlangt (Ahnenpass). Damit waren Jüdinnen und Ju- den an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Vom Verlust des Bürgerrechts bis zur Isolation (1935–1938) Nach der gesellschaftlichen Diskriminierung begannen die Nationalsozialisten die Jüdinnen und Juden durch Gesetze auszugrenzen. Im Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 hieß es: Q Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deut- schen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, dass er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen. (Reichsgesetzblatt 1935; in: Dehlinger, Systematische Übersicht über 76 Jg. RGBl. 1867–1942, Stuttgart 1943) Damit verloren die deutschen Juden das Staatsbürger- recht und waren Ausländern gleichgestellt. Wenig spä- ter wurde das Gesetz „zum Schutze des deutschen Blu- tes und der deutschen Ehre“ erlassen: Q § 1. Eheschließungen zwischen Juden und Staats- angehörigen deutschen oder artverwandten Blu- tes sind verboten. W Auschwitz. Kinder in Lagerkleidung am Zaun des Vernichtungslagers, aufgenommen nach der Befreiung (Fotografie, Ende Jänner 1945). W Wegen Vergehen gegen die „Nürnberger Gesetze“ wurden Menschen als „Rassenschänder“ öffentlich gedemütigt. Fotografie 1933, Cuxhaven (Deutschland). 86 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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