Zeitbilder 7/8, Schulbuch

nahm die Polizei fast nichts mehr gegen die nationalso- zialistischen Demonstrationen und Übergriffe. Das Ende Österreichs Schuschnigg wollte dem nationalsozialistischen Druck durch eine kurzfristig angesetzte Volksbefragung für den 13. März 1938 begegnen. In ihr sollte die österrei- chische Bevölkerung entscheiden, ob sie für oder gegen ein freies Österreich sei. Da selbst die emigrierten sozial- demokratischen Politiker ihren Anhängern in Österreich rieten, mit „Ja“ zu stimmen, schien eine große Mehrheit für die Selbstständigkeit Österreichs gesichert. Unter militärischen Drohungen forderte Hitler aber die Absetzung der Volksbefragung, den Rücktritt Schusch- niggs und die Ernennung des Nationalsozialisten Seyß- Inquart zum Bundeskanzler. Da Schuschnigg weder bei den Westmächten noch bei den Nachbarn Hilfe fand, trat er am Abend des 11. März 1938 zurück. In einer Rundfunkrede gab er dies bekannt: Q Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, dass wir der Gewalt weichen. Wir haben, weil wir um keinen Preis deutsches Blut zu vergießen gesonnen sind, unserer Wehrmacht den Auftrag gegeben, für den Fall, dass der Einmarsch durchgeführt wird, ohne Widerstand sich zurückzuziehen. So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volk mit ei- nem deutschen Wort, einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich! (Frass, Quellenbuch zur österreichischen Geschichte 4, 1967, S. 238, gekürzt) Arbeite in dieser Rede Ausdrücke heraus, die auf den ideologischen Hintergrund Schuschniggs verweisen. Erör- tere den möglichen Zweck der Rede. Bundespräsident Miklas erfüllte nach langem Wider- stand die Forderung, Seyß-Inquart zum Bundeskanzler zu ernennen. Trotzdem begann in der Nacht zum 12. März 1938 der Einmarsch deutscher Truppen. Ein Vorauskommando unter dem Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, si- cherte sich die Gold- und Devisenvorräte der Österrei- chischen Nationalbank, einen Schatz von über 90 Ton- nen Gold. Insgesamt profitierte das Deutsche Reich im Jahre 1938 von 2,7 Milliarden Goldschilling durch den Anschluss Österreichs. Diese riesige Geldmenge war der österreichischen Bevölkerung durch die Sparpolitik der vergangenen Jahre buchstäblich „vom Mund abge- spart“ worden. Sie ermöglichte die weitere militärische Aufrüstung Deutschlands, dessen Devisenreserven zu diesem Zeitpunkt schon fast erschöpft waren. Die Besetzung Österreichs verlief unblutig. Die bis da- hin illegalen Anhänger der NSDAP und weite Bevölke- rungskreise bereiteten den einmarschierenden Solda- ten und dem bald nachfolgenden Hitler einen „jubeln- den Empfang“. Zehntausende Österreicher/innen, dar- unter auch Bundeskanzler Schuschnigg, wurden jedoch schon in den ersten Wochen nach dem Einmarsch in Konzentrationslager gebracht. Gleichzeitig begannen die Verhaftungen, Misshandlungen und Demütigungen von Jüdinnen und Juden. Uniformierte Parteiangehö- rige, aber auch Zivilisten raubten Geld, Schmuck und andere Wertgegenstände. So viele österreichische Jü- dinnen und Juden wie möglich sollten damit zur Aus- wanderung gezwungen werden. Schon am 13. März 1938 verkündete Hitler mit dem „Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Am 10. April ließ er dies durch eine von der NSDAP kontrollierte Volksabstimmung bestä- tigen. Viele bekannte Persönlichkeiten, darunter auch der Sozialdemokrat Karl Renner und Kardinal Innitzer, sprachen sich für ein „Ja“ aus. Das Ergebnis brachte 99,6 Prozent Ja-Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 99,7 Prozent. Für sieben Jahre gab es nun kein Österreich mehr. L Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 12. März 1938, dem kein Widerstand entgegen- gesetzt wurde, beendete endgültig die Kleinstaat- lichkeit. An die 200 000 Menschen jubelten am Hel- denplatz Adolf Hitler als „Befreier“ zu. Gleichzeitig begannen erste Verhaftungswellen; 50 000 Österrei- cher/innen, politische Gegner/innen sowie Jüdinnen und Juden waren Opfer dieser Terroraktionen. Da- mit wurde auch bereits der Rahmen der Volksabstim- mung vom 10. April 1938 abgesteckt, die über den „Anschluß“ befinden sollte und deren fast hundert- prozentige Zustimmung (99,6 Prozent) ein Ergebnis von Opportunismus, ideologischer Überzeugung, massivem Druck und perfekter Propaganda sowie punktueller Wahlfälschungen war. (Rathkolb, Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2010, 2011, S. 16) Erläutere die Gründe, die in dieser Textstelle für die brei- te Zustimmung zum „Anschluss“ Österreichs angeführt werden. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Diskutiert in der Klasse, welche grundlegenden Faktoren schlussendlich zum Scheitern der Ersten Republik beige- tragen haben. W BeieinerGroßkund- gebung auf dem Hel- denplatz in Wien rief Hitler am 15. März 1938 der unter ihm versammeltenMenge zu: „Als Führer und Kanzler der Deut- schen Nation des Reiches melde ich vor der deutschen Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deut- sche Reich“ (Fotogra- fie, 15.3.1938). 53 2 Österreich I – die Erste Republik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv

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