Zeitbilder 7/8, Schulbuch

Dollfuß erklärte in der berühmt gewordenen „Trabrenn- platzrede“ im September 1933: Q Ich will heute all das, was insbesondere in un- serem Parlament und in der sogenannten Demo- kratie gesündigt worden ist, nicht im einzelnen an- führen (…). Dieses Parlament (…) wird und darf nie wiederkommen. Im Kampf gegen den Marxismus, der rascher als jemand zu hoffen wagte, zurückge- drängt werden konnte, ist uns unter der Fahne des Nationalsozialismus eine Bewegung in den Rücken gefallen, und so war die Regierung gezwungen, in einem Zweifrontenkrieg die Führung des Staates fest in die Hand zu nehmen (…). Ständiger Aufbau ist die Aufgabe, die uns in diesen Herbstmonaten gestellt ist. Der Berufsstand ist die Ablehnung klassenmäßi- ger Zusammenfassung des Volkes. Berufsauffassung besagt die gemeinsame Arbeit, die die Menschen einigt (…). Im Bauernhause, wo der Bauer mit sei- nen Knechten nach gemeinsamer Arbeit abends am gleichen Tisch, aus der gleichen Schüssel seine Sup- pe isst, da ist berufsständige Zusammengehörigkeit, berufsständige Auffassung. (Berchtold: Österreichische Parteiprogramme 1868-1967, zit. nach: Stationen 3, S. 131) Analysiere anhand der „Trabrennplatzrede“ die Ideolo- gie der Vaterländischen Front und die Grundzüge des Ständestaates. Bürgerkrieg in Österreich Nun ging die Regierung gezielt gegen die Sozialdemo- kraten vor. Der Republikanische Schutzbund war be- reits im März 1933 aufgelöst worden. In der Folge war es immer wieder zu provokanten Waffensuchaktionen in sozialdemokratischen Parteilokalen durch die Polizei und die Heimwehr gekommen. Regierung und Heim- wehr waren fest entschlossen, die Sozialdemokratie auszuschalten. Als am 12. Februar 1934 eine große Waf- fensuchaktion begann, ließ der Linzer Schutzbundkom- mandant Richard Bernaschek die Polizei mit Schüssen empfangen – der Bürgerkrieg war ausgebrochen. Die Wiener Parteiführung proklamierte für ganz Österreich den Generalstreik und rief den Schutzbund zu den Waf- fen. Allerdings wurde der Streikaufruf kaum befolgt, nur ein kleiner Teil der Schutzbundangehörigen betei- ligte sich an den Kampfhandlungen. Gekämpft wurde vor allem in Wien um die Gemeindebauten, in den In- dustriezentren des Wiener Beckens, in Linz, Graz, in der Obersteiermark, aber auch in einigen Orten West- österreichs, wie z. B. in Wörgl. Die Regierung setzte alle ihre Macht ein: Polizei, Bundesheer, Gendarmerie und Heimwehr. Nach zwei Tagen brach der Widerstand des Schutzbun- des zusammen, am 15. Februar 1934 war der Bürger- krieg zu Ende. Allein der Wiener Schutzbund hatte weit mehr als 1000 Tote und Verwundete zu beklagen. In- nerhalb der Zivilbevölkerung gab es 109 Tote und 233 Verwundete und auf Seiten der Regierungstruppen 47 Tote und 123 Verwundete. Gegen die „verantwortlichen Führer“ wurde mit unerbittlicher Härte vorgegangen: Neun von ihnen wurden von Standgerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet. Prominente sozialdemokra- tische Führer, darunter Otto Bauer, flohen. Hunderte Schutzbündler und sozialdemokratische Funktionäre wurden in „Anhaltelager“ – das größte war Wöllersdorf – gebracht. Diese hatte die Regierung nach dem deut- schen Vorbild der Konzentrationslager ab Herbst 1933 für Regimegegner, hauptsächlich Nationalsozialisten und Kommunisten, eingerichtet. Der Bürgerkrieg vom Februar 1934 belastete auch noch nach 1945 das Verhältnis zwischen den beiden Groß- parteien SPÖ und ÖVP. Selbst heute noch wird die Person Dollfuß in Österreich sehr unterschiedlich bewertet. Die Einschätzung seiner politischen Rolle schwankt zwischen „Arbeitermörder“, „Kämpfer gegen den Nationalsozialismus“, „Patriot“ und „Austrofaschist“. Versuche dich – z. B. im Internet – über die hier vorgelegten Informationen hinaus zu informieren und dir eine Meinung zu bilden. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Gestalte eine Zusammenfassung zum Thema „Dollfuß und die Ausschaltung des Parlamentes“. Trage dazu Stich- worte ins Heft ein. 2. Erläutere, welche Bedeutung die folgenden Ereignisse bzw. Begriffe haben: „Tausend-Mark-Sperre“, „Vaterländi- sche Front“, „Bürgerkrieg“. W 12. Februar 1934: Bild links: Die Regierung ließ Artillerie gegen Arbeiterwohnungen einsetzen. Das Foto zeigt Soldaten des Bundesheeres vor dem Karl Marx-Hof in Wien (unbek. Fotograf). Bild rechts: Zerschossene Küche im Karl Marx-Hof (Fotografie von Albert Hilscher). 49 2 Österreich I – die Erste Republik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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