Zeitbilder 7/8, Schulbuch

Arbeite die Ziele der Sozialdemokratie in diesem Pro- gramm heraus. Erkläre den Begriff „Mittel der Diktatur der Arbeiterklasse“. Erörtere, welchen Eindruck dieses Programm auf den politischen Gegner gemacht haben könnte. Otto Bauer erklärte noch auf dem Linzer Parteitag, die angedrohte Gewalt sei rein defensiv zu verstehen. Trotzdem glaubte die bürgerliche Seite nun die wahren Absichten der Sozialdemokratie zu kennen: den ge- waltsamen Umsturz. Auch die sozialdemokratische Par- teibasis nahm die Worte des „Linzer Programms“ ernst. Beide Seiten rüsteten für den zu erwartenden Kampf. Schattendorf und der Brand des Justizpalastes Selbst in kleinen Orten organisierten die Wehrverbände Aufmärsche und provozierten den politischen Gegner. Am 30. Jänner 1927 maschierten Schutzbundabteilun- gen durch die burgenländische Gemeinde Schattendorf. Sie provozierten rechtsgerichtete Frontkämpfer, die in einem Gasthaus zusammensaßen. Diese schossen da- raufhin auf den Demonstrationszug der Schutzbündler und töteten einen Kriegsinvaliden und ein achtjähriges Kind. Ein Wiener Geschworenengericht sprach die Front- kämpfer jedoch frei. Der leidenschaftliche Protest der Arbeiterzeitung zeigte Wirkung: Die Wiener Arbeite- rinnen und Arbeiter legten spontan die Arbeit nieder, zogen zum Justizpalast und setzten ihn in Brand. Sozialdemokratische Parteiführer versuchten die em- pörte Menge erfolglos zu beruhigen. Daraufhin setzte Polizeipräsident Schober bewaffnete Polizei ein, die in die Menge schoss. 89 Tote (darunter 4 Polizisten) und 1057 Verwundete waren die blutige Bilanz jenes 15. Juli 1927. Anstatt nun eine gegenseitige Annäherung zu suchen, verschärfte sich die Konfrontation weiter: Bundeskanz- ler Seipel weigerte sich, den bei der Demonstration verhafteten Arbeiterinnen und Arbeitern Amnestie zu gewähren. Von der Arbeiterzeitung wurde er daraufhin als „Prälat ohne Milde“ bezeichnet und eine Welle von Kirchenaustritten setzte ein. Die Wiener „Arbeiterzeitung“ schrieb Jahrzehnte spä- ter über den Brand des Justizpalastes: L Er ist das Schlüsselereignis der Ersten Republik, die Wende zwischen Demokratie und Faschis- mus. An diesem blutigen Freitag ging mehr in Trüm- mer als der Justizpalast: die Arbeiterklasse verlor ihr Vertrauen in den Rechtsstaat, die Sozialdemokratie den Glauben an die Allmacht ihrer Organisation. Die Ausschaltung des Parlamentes 1933, die Auflö- sung der Sozialdemokratie 1934 waren nur noch die letzten Konsequenzen dieser großen Niederlage der jungen Demokratie. (Steininger, 12. November 1918 bis 13. März 1939, in: Österreich im 20. Jahrhundert, 1997, S. 120 f.) „Korneuburger Eid“ der Heimwehr Die Sozialdemokraten boten nun Verhandlungen über die Abrüstung der Selbstschutzverbände an. Das bür- gerliche Lager war jedoch nicht bereit, auf die Heim- wehr zu verzichten. Diese wurden in der Folge politisch immer eigenständiger und unter dem Einfluss Musso- linis, der sie mit Waffen und Geld versorgte, immer fa- schistischer. Am 18. Mai 1930 versammelten sich in Korneuburg 800 Delegierte zur Generalversammlung der niederösterrei- chischen Heimwehr. Der österreichische Bundesführer Richard Steidle verlas ein Grundsatzprogramm, auf das die Delegierten einen „heiligen Eid“ schworen: Q • Wir wollen Österreich von Grund aus erneuern! • Wir wollen den Volksstaat des Heimatschutzes. • Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum Wohle des gesamten Volkes Staat und Wirt- schaft neu ordnen. • Wir verwerfen den westlichen demokratischen Par- lamentarismus und den Parteienstaat. • Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und liberal- kapitalistische Wirtschaftsgestaltung. • Jeder Kamerad fühle und bekenne sich als Träger der neuen deutschen Staatsgesinnung; er sei bereit, Gut und Blut einzusetzen, er kenne die drei Gewalten: den Gottesglauben, seinen eigenen harten Willen, das Wort seiner Führer. (Zit. nach: Jochum, Die Erste Republik in Dokumenten und Bildern, 1983, S. 92 f., gekürzt) Benenne die faschistischen Elemente des „Korneuburger Eides“. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Erkläre die Rolle der beiden großen politischen Parteien in der Ersten Republik. Gehe dabei auch auf die Wehrver- bände ein. 2. Skizziere die zunehmende Radikalisierung der Innenpo- litik. Erläutere in diesem Zusammenhang auch die folgen- den Begriffe bzw. Ereignisse: Linzer Programm, Brand des Justizpalastes, Korneuburger Eid. W Der brennen- de Justizpalast, Fotografie, 1927. 45 2 Österreich I – die Erste Republik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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