Zeitbilder 7/8, Schulbuch

urteilt als damals. Es gab nämlich Erze, Magnesit, Gra- phit, Salz, Holz und Wasserkraft und eine recht hohe industrielle Kapazität im neuen Kleinstaat. Erläutere die unmittelbaren wirtschaftlichen Probleme in der Anfangsphase der Republik. Inwiefern ist der Satz „Wirtschaft ist in Wirklichkeit Psychologie“ für die Erste Republik zutreffend? Die Legende von der „Lebensunfähigkeit“ der Repub- lik Österreich hielt sich auch in den kommenden Jahren hartnäckig. Sie verhinderte bei vielen Menschen, dass sie sich mit dem neu entstandenen Staat identifizierten. Festigung der Republik Schon am Tage ihrer Ausrufung kam es in Wien zu einem kommunistischen Putschversuch. Er scheiterte jedoch schon nach wenigen Stunden: Die Volkswehr unter der Führung des Sozialdemokraten Julius Deutsch leistete entschlossenen Widerstand. Nach den Wahlen vom Feb- ruar 1919, bei denen zum ersten Mal auch Frauen wahl- berechtigt waren, kam es zu einer Regierungskoalition von Sozialdemokraten und Christlichsozialen unter der Führung von Staatskanzler Renner und Vizekanzler Fink. Im September 1919 wurde der Friedensvertrag von St. Germain unter Protest von der österreichischen Dele- gation unterzeichnet. Damit verbunden war auch die Änderung des Staatsnamens in „Republik Österreich“ und das Verbot des Anschlusses an das Deutsche Reich (weitere Bestimmungen vgl. S. 9). Der Kampf ums Staatsgebiet Beim Friedensschluss in Saint-Germain konnte Öster- reich das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht durchsetzen. Die deutsch besiedelten Gebiete Böh- mens und Mährens wurden unter Berufung auf die alten Kronland- grenzen in die neu errichtete Tsche- choslowakei eingegliedert. Italien erhielt den ausschließlich deutschsprachigen Teil Südtirols. Die überwiegend gemischtsprachi- ge Untersteiermark kam an das Kö- nigreich der Serben, Kroaten und Slowenen, das spätere Jugoslawien. Dazu musste noch das Kanaltal an Italien und das Mießtal an Jugosla- wien abgetreten werden. Jugosla- wien beanspruchte darüber hinaus auch noch Südkärnten mit Villach, Klagenfurt und dem Zollfeld. Gegen den Einmarsch von slowenischen Freischärlern setzten sich Kärntner Abwehrkämpfer, unterstützt von Freiwilligen aus anderen Bundeslän- dern, erfolgreich zur Wehr. Als jedoch reguläre serbi- sche Truppen in das Gebiet einmarschierten, musste der militärische Widerstand aufgegeben werden. Öster- reich konnte daraufhin beim Völkerbund eine Volksab- stimmung durchsetzen, die in zwei Abstimmungszonen durchgeführt werden sollte. Da die Abstimmung im Ok- tober 1920 in der Südzone schon eine eindeutige Mehr- heit für Österreich brachte, musste in der Nordzone um Klagenfurt nicht mehr abgestimmt werden. Zum mehr- heitlichen Bekenntnis zu Österreich haben auch viele slowenisch sprechende Kärntner/innen beigetragen. Als der deutschsprachige Teil Westungarns – was dem heutigen Burgenland entspricht – Österreich zuerkannt wurde, kam es auch hier zu Kämpfen zwischen unga- rischen Soldaten und den einrückenden österreichi- schen Gendarmerie- und Zollwacheeinheiten. Die Sie- germächte bestanden auf einer kampflosen Übergabe. Sie stimmten jedoch einer Volksabstimmung im Raum Ödenburg (Sopron) zu. Ihre korrekte Durchführung wurde von österreichischer Seite in Zweifel gezogen. Sie ergab eine Mehrheit für Ungarn. Im Jänner 1922 wurde Ödenburg offiziell an Ungarn übergeben. Dass die Österreicher/innen damals kein Vertrauen in die Zukunft ihres Staates entwickelt hatten, zeigte sich in verschiedenen Anschlussbewegungen: In mehreren Bundesländern versuchte man durch Volksabstimmun- gen Anschluss an andere Staaten zu gewinnen. In Tirol und Salzburg ergab sich eine große Mehrheit für einen Anschluss an Deutschland. In Vorarlberg gab es eine starke Anschlussbewegung an die Schweiz. Eine Ab- stimmung wurde aber nicht durchgeführt. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Erkläre stichwortartig die politische und wirtschaftliche Situation des neu entstandenen österreichischen Klein- staates. Erläutere in diesem Zusammenhang auch die Be- griffe „Rest-Trauma“, „Staat, den keiner wollte“, die Legen- de von der „Lebensunfähigkeit“, Anschlussbestrebungen und Anschlussverbot. W Links: Plakat zur Kärntner Volksabstimmung am 10. Oktober 1920, Lithographie, 69,5×52 cm (Österreichische Nationalbibliothek, Wien). Rechts: Plakat zur Ödenburger Volksabstimmung am 14. De- zember 1921. Farbdruck, Entwurf: Ernst Kutzner (Burgenländisches Landesmuseum). Beschreibe die Bildinhalte der Plakate. Analysiere ihre Symbolik (Geigenspieler). Erläutere die mögliche beab- sichtigte Wirkung. 39 Österreich I – die Erste Republik 2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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