Zeitbilder 7/8, Schulbuch

Maßnahmen versuchte man, die Arbeitsmoral zu heben. Stalin appellierte aber auch mit Erfolg an die patrioti- schen Gefühle der Russen: Erfolgreiche Arbeiterinnen und Arbeiter wurden als „Helden der Arbeit“ gefeiert und mit dem Leninorden ausgezeichnet. Durch die Bevorzugung der Schwerindustrie wurde die Erzeugung von Konsumgütern stark vernachlässigt. Lebensstandard und Löhne der Menschen in der So- wjetunion waren sehr niedrig, Wohnraum war äußerst knapp. Anfang der 1930er-Jahre konnten Lebensmittel nur auf Karten bezogen werden. Trotzdem war die zent- rale Verteilerorganisation nicht imstande, die Menschen mit den notwendigen Lebensmitteln zu versorgen. Schauprozesse – „Säuberungen”, Terror und Personenkult Jede Abweichung von den Richtlinien der kommunisti- schen Partei wurde von der Geheimpolizei verfolgt und hart bestraft. 1934 erließ Stalin ein Gesetz, das Eltern und Kinder verpflichtete, sich gegenseitig wegen antisozialistischer Meinung bei den Behörden anzuzeigen. Verstöße gegen dieses Gesetz wurden meist mit Zwangsarbeit in Lagern (Gulags) in Sibirien bestraft. Viele Millionen Menschen starben dort im Laufe der folgenden zwei Jahrzehnte an den unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Stalin stellte ab 1934 Mitglieder einer angeblichen „trotzkistischen Opposition” als Konter-Revolutionäre vor Gericht. Die Geständnisse und Selbstbezichtigungen der Ange- klagten in den öffentlich geführten „Schauprozessen” wurden durch vorhergehende Folterungen erzwungen. Von den Terrormaßnahmen Stalins waren altgedien- te Partei-Funktionäre, hohe Offiziere, aber auch Men- schen betroffen, die sich nicht politisch betätigten. Es entstand ein Klima der Angst und des gegenseitigen Misstrauens, das zu ungerechtfertigten Anzeigen führ- te. Ein Augenzeuge berichtet, wie im Gefängnis von un- schuldigen Menschen „Geständnisse“ erpresst wurden: Q Er lag auf dem Boden. Seine Hosen waren aufge- trennt, die Beine verbunden. Er hatte viereinhalb Tage „Stoika“ hinter sich. Stoika ist die erschwerte Form von Fließband. Fließband bedeutet pausenlo- ses Verhör mehrere Tage hindurch (...). Bei der Sto- ika wird der Untersuchungshäftling gezwungen die ganze Zeit zu stehen. Wenn er sich nicht mehr auf den Beinen halten kann, stützen ihn zwei Polizisten unter den Achseln. Fließband und Stoika wurden da- mals systematisch angewandt. Kurz ehe der (Mann) das Bewusstsein verlor, fühlte er, dass im Bein etwas platzte – eine Vene. Die Beine waren wie Holzklöt- ze angeschwollen, um sie zu verbinden, mussten die Hosen aufgeschnitten werden. (Jakir, Kindheit in Gefangenschaft, 1972, S. 6) Auf dem Höhepunkt der „Säuberungen“ in den Jahren 1936 bis 1938 befanden sich 8 bis 9 Millionen (5 bis 6 Prozent der Bevölkerung) sowjetische Bürgerinnen und Bürger in den Gefängnissen der russischen Staatspoli- zei. Schätzungen besagen, dass der stalinistische Terror mindestens 20 Millionen Menschen das Leben kostete. 1938 ließ Stalin eine neue Geschichte der Kommunis­ tischen Partei der Sowjetunion schreiben. Sie sollte beweisen, dass Stalin der einzige Schüler und engste Freund Lenins gewesen sei. Alle anderen bolschewisti- schen Führer wurden als Abtrünnige und Verräter be- zeichnet. Um von Terror und Gewaltmaßnahmen abzu- lenken, ließ sich Stalin bis zu seinem Tod 1953 in einem beispiellosen Personenkult als „großer und genialer Führer und Lehrer“ feiern. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Beschreibe die Merkmale der Gewaltherrschaft des Sta- linismus. Erkläre in diesem Zusammenhang auch die Be- griffe: Kulaken, Kollektivierung, „Sozialismus=Sowjetmacht plus Elektrifizierung”, Schauprozesse und „Säuberungen”. 2. Erläutere, was man unter „Personenkult” versteht und diskutiert darüber in der Gruppe, welche Wirkung er auf Menschen haben kann. W Millionen Menschen wurden in Lager (Gu- lags) deportiert, die meisten starben an den unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Das Foto zeigt Zwangs- arbeiterinnen bei der Holzarbeit in einem Lager in der Nähe von Archangelsk. W Stalins Personenkult äußerte sich in riesengroßen Fotografien, Pla- katen und Stalinstatuen. Oft ließ er sich mit Kindern darstellen, wie auf diesem Gemälde von Wassili Swarog, 1939. Beschreibe die Bildinhalte (Personen, Hintergrund, Farben etc.). Erläutere, welche politische Absicht Stalin mit die- sem Gemälde verfolgt haben mag. 31 1 Die Zwischenkriegszeit N r zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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