Zeitbilder 7/8, Schulbuch

billig, um überhaupt Geld verdienen zu können; Arbeitgeber zahlen für sie oft keine Lohnnebenkos- ten (z. B. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge). Arbeitnehmervertretungen, wie die Gewerkschaft oder die Arbeiterkammer, befürchten, dass solche billigen Arbeitskräfte die „teureren“ heimischen und legalen ausländischen Arbeitskräfte von den Arbeits- plätzen verdrängen. Wirtschaftsbetriebe wiederum befürchten die billige Konkurrenz. Wirksame Kont- rollen in den Betrieben gegen illegale Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern sind aufgrund von Personalmangel bei den Arbeitsinspektoraten und der Polizei kaum möglich. –– Mit dem „Fremdenrechtspaket“ 2002 beschränk- te man die Neuzuwanderung durch jährlich neu festzulegenden Quoten von Personen mit beson- deren fachlichen Qualifikationen. Einfach qualifi- zierte Arbeitskräfte („Saisonarbeitskräfte“) und „Pendlerbeschäftigte“ erhalten nur eine begrenzte Aufenthaltsdauer. Sie erwerben kein Recht auf Nie- derlassung und Familiennachzug. Für Asylwerberinnen und Asylwerber wurden drei „Erstaufnahmestellen“ eingerichtet: In Traiskirchen (NÖ), Thalheim (OÖ) und am Flughafen Wien Schwe- chat. Dort soll binnen 20 Tagen geklärt werden, ob der Antrag auf Asyl zu Recht besteht oder nicht. Danach sollen Asylwerberinnen und Asylwerber, ebenso wie „andere Fremde“, die Betreuung brauchen, in Quar- tiere übersiedeln, die von den Bundesländern zur Verfügung gestellt werden. Kommen sie aus sicheren Drittstaaten (wo die Genfer Flüchtlingskonvention er- füllt wird), werden sie dorthin zurück gebracht (Dub- lin 1-Regelung). –– Mit dem Fremdenrechtspaket 2011 wurde die Rot- Weiß-Rot-Card eingeführt. Sie löst die bisherige Quo- tenregelung durch ein Punktesystem für Arbeitskräf- te-Zuwanderung ab. Das Ziel ist, besonders qualifi- zierte Zuwanderinnen und Zuwanderer – ca. 8000 pro Jahr – als Fachkräfte in Mangelberufen zu gewinnen. Besonders kontroversiell wurde in der Öffentlichkeit die „Integrationsvereinbarung“ diskutiert. Diese ver- pflichtet die Zuwanderinnen und Zuwanderer zum „Erwerb von Grundkenntnissen der deutschen Spra- che“. Seit 2011 müssen Zuwanderungswillige bereits vor ihrer Zuwanderung elementare Kenntnisse der deutschen Sprache beherrschen. Innerhalb von zwei Jahren müssen sie eine Sprachprüfung (Niveau A2 – z. B. Schreiben einfacher Briefe) positiv absolvieren, damit sie in Österreich bleiben dürfen. Asylwerberinnen und Asylwerber haben fünf bis sieben Tage Anwesenheitspflicht in der Erstaufnah- mestelle, um bei der Abklärung ihrer persönlichen Situation mitzuwirken. Auf diese Weise möchte man die Asylanträge in möglichst kurzer Zeit bearbeiten. In den Jahren davor mussten Flüchtlinge bisweilen mehrere Jahre auf einen Bescheid warten. Manche wurden dann abgeschoben, obwohl sie bereits gut integriert waren. Andere wiederum nutzten die un- klaren gesetzlichen Bestimmungen, um negative Be- scheide mit zahlreichen Einsprüchen zu bekämpfen. Mit der Einrichtung eines Bundesamtes für Asyl und Migration ab 2013 sollten die Asylverfahren endgültig vereinheitlicht und rasch erledigt werden. Immer heftig diskutiert – Schulbildung, Einkommen, Kriminalität Vor allem im Schulsystem sind bei ausländischen Schü- lerinnen und Schülern – besonders mit nicht deutscher Umgangssprache – große Unterschiede anzutreffen: Ihr Anteil ist an den Sonderschülern relativ hoch, an den hö- heren Schulen unterdurchschnittlich. Viele von ihnen set- zen ihre Ausbildung nach der Pflichtschulzeit nicht fort. Die ausländischen Staatsangehörigen verdienen im Durchschnitt zwischen 75% und 85% des durchschnitt- lichen Einkommens in Österreich. Ihr Armutsrisiko liegt mit 26% weit über jenem der österreichischen Staats- bürgerinnen und Staatsbürger mit 12%. Zweifellos ist die Kriminalitätsbelastung in Österreich durch ausländische Staatsangehörige gestiegen. Aller- dings ist der Anteil der Tatverdächtigen deutlich höher als jener der tatsächlich Verurteilten. L Jugendliche mit Migrationshintergrund, die selbst noch im Ausland geboren wurden (Erste Generation), berichten seltener davon, an Gruppen- schlägereien teilgenommen oder Körperverletzun- gen verübt zu haben, als Jugendliche, die aus Zu- wandererfamilien (deren Eltern wurden im Ausland, sie selbst in Österreich geboren; Zweite Generation) stammen. Möglicherweise wirkt sich die Akzeptanz von sogenannten „Gewalt legitimierenden Männ- lichkeitsnormen“ durch Jugendliche mit Migrations- hintergrund in der zweiten Generation auf die Be- reitschaft aus, entsprechende Delikte zu berichten. Doch ist zu beachten, dass migrantische Jugendliche stärkeren Belastungsfaktoren ausgesetzt sind als ihre einheimischen Altersgenossen. So weisen Menschen mit Migrationshintergrund in fast allen Lebensberei- chen, vor allem auf den Gebieten Bildung und Be- schäftigung, deutlich schlechtere Chancen auf als die eingesessene Bevölkerung. (Fuchs/Krucsay: Zählen und Verstehen: Jugenddelinquenz, erfah- rungswissenschaftlich betrachtet. In: 6. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich. Wien 2011, S. 363.) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Erläutere die Begriffe „Migrantin und Migrant bzw. Asyl- werberin und Asylwerber“ und fasse die Entwicklung in Österreich seit 1945 zusammen. 2. Vergleiche die wesentlichen Bestimmungen der öster- reichischen „Fremdenrechtspakete“. Beurteile sie hinsicht- lich ihrer Integrationsförderung.  3. a. Analysiert die Verbindung von „Gewalt“ und „Männlichkeitsnormen“. b. Analysiert die vorgegebene Darstellung von Jugendli- chen mit Migrationshintergrund und selbst berichteter Kriminalitätsbelastung. c. Erörtert die Bedeutung der genannten Belastungsfakto- ren für möglicherweise vermehrtes abweichendes Verhal- ten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. 265 7 Die Vielfalt der sozialen Welt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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