Zeitbilder 7/8, Schulbuch

Projektvorbereitung Als historische Methode der Zeitgeschichteforschung hat sie besonderen Anforderungen zu entsprechen. 1. Zunächst ist es unumgänglich, sich als Forscherin oder For- scher umfassend auf das Interview mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen vorzubereiten. Das enttäuscht möglicherweise all jene, die meinen, es braucht keinen Aufwand an Litera- turstudien. Voraussetzung sind also gründliche Informati- onen über den betreffenden Zeitabschnitt – z. B. über die Periode der 1960er oder 1970er Jahre. Dies ist notwendig, weil die Aussagen der interviewten Zeitzeuginnen und Zeit- zeugen mit der Darstellung der damaligen Ereignisse in der Fachliteratur verknüpft und in den historischen Rahmen eingepasst werden müssen. 2. Geschichte wird durch Menschen, welche diese „selbst erlebt haben”, lebendiger vermittelt als durch Schulbücher. Doch es besteht die Gefahr, dass solchen Erzählungen unhinterfragt mehr Autorität bzw. eine erhöhte Wahrheit zugesprochen wird. Die Interviewten werden nämlich in der Regel als Expertinnen und Experten für den von ihnen erlebten und berichteten Zeitabschnitt betrachtet. Daher ist es wichtig, den Wahrheitsgehalt in den Aussagen der Zeit- zeuginnen und Zeitzeugen zu überprüfen. Das kann höchst aufwändig werden: Einerseits berichten diese davon, wie sie ein Ereignis erlebt haben. Sie berichten von ihrem per- sönlichen Umgang mit ihrer Geschichte. Da geht es dann nicht um „richtige” oder „falsche” Antworten. Es geht viel- mehr um die Sichtweise, wie die Befragten ihre Geschichte erlebt haben. Daran ist zunächst nichts falsch. Anderseits können sie aufgrund der zeitlichen Distanz zu den dama- ligen Ereignissen Tatsachen durcheinander bringen, sie verwechseln oder Teile davon schlicht vergessen. Beachtet werden sollte auch, dass sich (eher ältere) Zeitzeuginnen und Zeitzeugen insofern irren können, als sie selbst erleb- te Ereignisse mit Berichten darüber, die sie gelesen oder gehört haben, vermischen; manches Mal halten sie gar die Berichte darüber für selbst Erlebtes. Dabei geht es nicht um Wahrheit oder Lüge. Es sollte vielmehr herausgefunden werden, warum dieses oder jenes nicht anders erinnert oder erzählt wurde. Es kann sich natürlich aber auch um bewusste Täuschung handeln, wenn etwas absichtlich weg- gelassen oder anders dargestellt wird. Daher ist es wichtig, andere Quellen (Fotos, Zeitungen, Dokumente, andere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen etc.) zum Vergleich und zur Kontrolle heranzuziehen. 3. Auch die Interviewsituation ist von Bedeutung. Sie zeichnet sich einerseits durch Respekt und Höflichkeit aus, anderer- seits soll sie von kritischer Distanz getragen sein: Wie wirkt diese Person auf mich? Beeindruckt oder vereinnahmt sie mich? Welche Vorurteile in positiver oder negativer Weise habe ich ihr gegenüber? Solche Gesichtspunkte sollten im Rahmen einer nachbereitenden Reflexion bearbeitet, no- tiert und im Rahmen der Auswertung beachtet werden. 4. Bei der Auswertung zur Entschlüsselung der Erzählungen sind schließlich folgende Leitfragen von Bedeutung. 4.1 Welche Art der Aussagen machen die Befragten? (Be- hauptungen, Meinungen …) 4.2 Machen sie Angaben darüber, was geschehen ist oder darüber, warum etwas passiert ist? 4.3 Sind die Angaben bruchstückhaft, unzusammenhän- gend oder bemühen sich die Personen, eine zusam- menhängende Geschichte zu erzählen? 4.4 Versuchen die Personen sich oder ihre Handlungen zu rechtfertigen oder problematisieren sie diese? 4.5 Gibt es Anhaltspunkte dafür, an denen man zumindest einige der erzählten Angaben unabhängig überprüfen kann? (Vgl. Stradling, Teaching 20th-Century European Histo- ry; nach: Donnermair „… ich glaub nur dem, der selbst dabei war…” Über die Arbeit mit mündlichen Quellen im Geschichtsunterricht, 2006, S. 106–111, S. 110; Übersetzung d. A.) Projektdurchführung Erarbeitet mit Unterstützung eurer Lehrkraft und unter Be- achtung der vorangehenden Ausführungen ein Projekt mittels Oral History zur Thematik: Jugend zwischen den 1960er und 1980er Jahren in Öster- reich Erarbeitet zunächst die nachfolgenden Punkte 1–4 sowie 11 im Klassenverband; die Punkte 5–10 recherchiert in den jeweiligen Teams. 1. Informiert euch inhaltlich umfassend über diese Zeitepo- che und die damaligen jugendkulturellen Strömungen. 2. Erstellt einen Interviewleitfaden. Dieser gibt im Wesent- lichen bloß Anstöße zur Erzählung. Die Erzählung soll möglichst frei und unbeeinflusst erfolgen können. Als Einstiegsfragen könnten empfohlen werden: „Als du dich richtig jung gefühlt hast – was fällt dir dazu ein (Musik, Po- litik, Arbeit, Freizeit, Schule, Freundin oder Freund, Familie etc.)”? oder: „Wenn du an deine Jugend in den 1960ern … denkst – was fällt dir dazu ein (Musik, Arbeit, Politik etc.)”? 3. Bereitet wichtige „Nachfragen” vor, um Sachverhalte bes- ser abzuklären. 4. Überlegt euch eine abschließende Frage. 5. Organisiert entsprechende Aufnahmegeräte und überprüft sie auf ihre Tauglichkeit. 6. Überlegt euch die Auswahl und die Anzahl der zu intervie- wenden Personen. Vorschlag: Zweier-Teams interviewen je eine Person, wobei in Vierer-Teams eine gemeinsame Vorbereitung und Auswertung erfolgen sollte. 7. Notiert nach dem Interview eure Eindrücke. 8. Fertigt eine Niederschrift des Interviews als Grundlage für die Auswertung an. 9. Beachtet bei der Auswertung die Leitfragen 4.1 bis 4.5. 10. Fertigt einen Bericht über die erhobene Thematik an. Fasst die Aussagen der Fachliteratur zusammen und be- zieht die Ergebnisse eurer Interviews mit ein. 11. Vergleicht die Ergebnisse innerhalb der Klasse. 12. Thematisiert die Problematik „Erinnern“ – „Vergessen“ auch im Psychologieunterricht. 261 7 Oral History – Jugendliche Lebenswelten seit den 60ern N r zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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