Zeitbilder 7/8, Schulbuch

7. Oral History – Jugendliche Lebenswelten seit den 1960ern Jugendkulturelle Trends L Wenn man nun in der zweiten Hälfte des ers- ten Jahrzehnts im 21. Jh. durch die Straßen (…) einer beliebigen europäischen großen Stadt geht, dann fällt einem zuerst bei allem erweiterten Norma- litätsvorstellungen (die Abweichung von Normen ist selbst zur Normalität geworden) die jugendkulturelle Verschiedenheit, das Nebeneinander, die dauernde Renaissance von Stilformen und die vielen durchläs- sigen Mainstream-Kulturen für „Szene-Surfer“ auf. Und praktisch keine der alten Jugend(sub-)kulturen wie etwa die der Teds und Rockabiliys aus den 50er Jahren, der Mods, Skinheads, Rocker und Hippies aus den 60er Jahren, der Anarcho- und Post Punks, der Autonomen, der Heavy Metal Szene aus den 70er Jahren sowie die Schwarze Szene der Gothics, der Dark Waves, der Death-, Trash- und Black-Metal aus den 80er Jahren sind vollends von der Bildflä- che verschwunden. Hinzu kommt, dass alles, schon allein durch die vielen Imitationen und Revivals, im- mer mehr, immer variantenreicher, flexibler und ge- mixter wird. Die Jugendkulturen haben sich seit den 80er Jahren sprunghaft entwickelt – selbst Jugendli- che kennen sich meistens nicht mehr aus. Daneben wird die Hip Hop-Kultur als zusammenge- fasste Ausdrucksform von Rap, Graffiti, Breakdance und Djing als „aktuell größte jugendkulturelle Strö- mung“ bezeichnet. (Gekürzt und vereinfacht nach: Ferchhoff, Jugend und Jugendkultu- ren im 21. Jahrhundert, 2007, S. 181 ff.; sowie Peschke, Hip Hop in Deutschland, 2010, S. 7 bzw. 55) Aus der aktuellen österreichischen Jugendszene Die Jugendforschung hat in Österreich in den letzten Jahren weniger die Lifestyles von Jugendlichen im Blick. Sie konzent- rierte sich auf deren Einstellungen und Werte. Dabei konnte sie folgende Teilgruppen herausarbeiten: L Optimistinnen und Optimisten Bei ihnen steht das persönliche Lebensglück im Vordergrund. Sie sind auf ihr eigenes Leben kon- zentriert. Politisch zeigen sie sich kaum interessiert und stimmen sowohl dem traditionellen als auch dem emanzipatorischen Rollenbild zu. Egozentrikerinnen und Egozentriker Sie orientieren sich vor allem an Freiheit und Le- benslust. Soziale Themen sind ihnen unwichtig. Sie sind im Durchschnitt 18 Jahre alt. Ihre politische Ein- stellung bleibt oberflächlich. Die Burschen weisen das traditionellste Rollenverständnis auf, die jungen Frauen sind moderner. Skeptikerinnen und Skeptiker Diese Gruppe (ca. 10%) lehnt v. a. genussorientierte, aber auch soziale Einstellungen ab. Sie fühlen sich weniger ernst genommen und sind weniger selbst- bestimmt. Sie wollen in der Politik vor allem einen „starken Mann“. Die Freizeitorientierten Eine genussorientierte Lebenseinstellung ist für sie besonders wichtig. Sie lehnen Leistungsorientierung und eine materialistische Einstellung ab. Im Gegen- satz zu den Egozentrikerinnen und Egozentrikern weisen sie die Übernahme von Verantwortung für ihr Umfeld nicht mehr zurück. Arbeit ist ihnen relativ unwichtig. Politisch wollen sie eine Regierung aus Expertinnen und Experten. Idealistinnen und Idealisten Sie streben sowohl Genuss, beruflichen Erfolg und soziale Verantwortung an. Beruf, Partnerschaft oder Familie sind ihnen noch nicht so wichtig. Sie erleben sich ernst genommen und selbstbestimmt. Als poli- tisch Interessierte lehnen sie einen „starken Mann“ deutlich ab. Pragmatikerinnen und Pragmatiker Sie streben ein ausgeglichenes Privatleben an. Aber ebenso wichtig ist ihnen auch Verantwortung für die soziale und natürliche Umwelt zu übernehmen. Jun- ge Frauen sind in dieser Gruppe überdurchschnitt- lich häufig vertreten. Politisch sind sie mäßig inter- essiert. Sie bevorzugen eine Regierung aus Expertin- nen und Experten. (vereinfacht und zusammengefasst nach Kromer/Hartwanger, Ju- gendliche und ihre Werte, 2008, S. 265ff.) Jugendforschung – selbst gemacht Methode: Oral History Nichts ist so spannend wie eine gute Erzählung von Zeitzeu- ginnen und Zeitzeugen. Die jungen Menschen sind z. B. im Allgemeinen höchst interessiert daran, was die Eltern und Großeltern erlebt haben als diese selbst jung waren. Erzählun- gen machen die jüngere Vergangenheit erst richtig lebendig. Deshalb sind diese Zugangsweisen bei Schülerinnen und Schülern so beliebt. Auf eine solche Weise könnte mit Hilfe der älteren Generationen erforscht werden, ob sie sich als Jugend in den 1960er Jahren tatsächlich als die „kritische Generati- on“, als welche diese Jugend heute allgemein bezeichnet wird, erlebt haben. Sie könnten auf diese Weise erfahren, was die Bezeichnung „kritische Jugend“ alles beinhaltet hat oder ob die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen davon wenig oder etwa gar nicht betroffen waren. Einen forscherischen Zugang zu solchen u.ä. zeitgeschichtli- chen Fragestellungen bildet die Methode der „oral history“. Das meint die Befragung von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen: L Oral history is both a subject and a methodology, a way of finding out more by careful, thoughtful interviewing and listening. (Ken Howarth, Oral History. 1999, S. 4) 260 Methode – Kompetenztraining Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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