Zeitbilder 7/8, Schulbuch

8. Diktatorische Systeme in Europa Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich in vielen Län- dern Europas die Regierungsform. Die ersten Diktatu- ren entstanden 1922 in Italien, 1926 in Polen und Portu- gal und 1929 in Jugoslawien. Im Gefolge der Weltwirt- schaftskrise zeigte sich dann ab 1930 ein allgemeiner Trend zu Diktaturen bzw. diktaturähnlichen Staatsfor- men: In Deutschland und Österreich kamen 1933, in den baltischen Ländern Estland und Lettland 1934 (Litauen bereits 1926) und in Spanien 1936 bis 1939 rechtsgerich­ tete Diktaturen an die Macht. Demokratisch blieben die westeuropäischen Staaten Frankreich, Großbritannien, die Benelux-Länder, Skandinavien und die Schweiz. In diesen Staaten hatte das jeweilige politische System be- reits vor 1914 bestanden. Zähle Staaten auf, in denen heute noch demokratische Einrichtungen eingeschränkt oder unvollständig sind. 8.1 Faschismus in Italien Italien nach dem „verlorenen Frieden“ Italien hatte den Ersten Weltkrieg zwar gewonnen, der Krieg hatte jedoch das Land in eine katastrophale Lage versetzt: 750 000 Soldaten waren gefallen, für über eine Million Invalide musste der Staat jährlich Renten zahlen. 500 000 Menschen, viele von ihnen heimkeh- rende Soldaten, waren arbeitslos. Durch den Wegfall der Rüstungsindustrie geriet die schwache italienische Wirtschaft in eine schwere Krise. Die meisten Italiener/ innen fühlten sich durch die Westmächte um den Preis des Sieges geprellt. Die Friedensverträge sprachen ih- nen nämlich nur das Trentino mit Südtirol, Triest und Istrien zu, nicht jedoch die übrigen beanspruchten Ge- biete (z. B. Rijeka an der dalmatinischen Küste sowie einen Anteil an den ehemaligen deutschen Kolonien). So entstand das Schlagwort vom „verlorenen Frieden“. Dass die sozialistische Partei 1915 den Kriegseintritt Italiens abgelehnt hatte, verhalf ihr 1919 bei den Parla- mentswahlen zur Mehrheit. Sie fand aber keine geeig- neten Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosig- keit und der Misere der Arbeiter/innen. Streiks und Fa- briksbesetzungen waren die Folge. Großgrundbesitzer und Industrielle sahen in Benito Mussolini und seiner faschistischen Partei die politischen Kräfte, die sie ge- gen das bäuerliche und industrielle Proletariat in Nord- und Mittelitalien schützen sollte. Mussolini und die faschistische Machtergreifung Benito Mussolini, vor dem Ersten Weltkrieg ein bekannt radikaler Sozialist, gründete 1919 in Mailand die „Fa- schistischen Kampfbünde“ (Fasci italiani di combat- timento). Die Faschisten stellten sich auf die Seite der Großgrundbesitzer und der Industriellen und bekämpf- ten mit Gewaltmaßnahmen die gegnerischen Parteien, vor allem die sozialistische und kommunistische. Sie versuchten sich mit Erfolg als Streikbrecher; sie bedroh- ten alle organisierten Arbeiter/innen und beschädigten oder zerstörten ihre Einrichtungen, Überfälle und Mor- de waren an der Tagesordnung. Erkennbar waren diese Schlägertrupps an ihren schwar­ zen Hemden („Schwarzhemden“). Sie setzten sich aus ehemaligen Frontkämpfern, Nationalisten, Kleinbür- gern und Opportunisten zusammen. Dabei wurden sie vom bürgerlich-konservativen Staatsapparat geduldet, weil dieser mehr Angst vor dem Sozialismus als vor Mussolini hatte. 1921 gelang der faschistischen Partei der Einzug ins Parlament, trotzdem drohte Mussolini mit Gewaltan- wendung. Entschlossen, die Macht in Italien an sich zu reißen, planten die Faschisten einen gewaltsamen Marsch auf Rom. Im Oktober 1922 standen die faschisti- schen Kampfgruppen in der Umgebung Roms bereit. Da die übrigen politischen Kräfte des Landes kapitulierten, ernannte der italienische König Mussolini zum Minis­ terpräsidenten. Die Faschisten konnten daher ohne Kampf in die italienische Hauptstadt einrücken. Italien wird faschistischer Einheitsstaat Mussolini arbeitete als Ministerpräsident weiter am Aus- bau der faschistischen Macht. Er brachte zum Beispiel 1923 ein Wahlgesetz durch, das seine Partei begünstigte. Bei den Parlamentswahlen ein Jahr später stimmten 65 Prozent der Wähler/innen für die Faschisten. Als der so- zialistische Abgeordnete Matteotti Mussolini des Wahl- betrugs und der Anwendung von Gewalt bezichtigte, wurde er von einem faschistischen Kommando entführt und ermordet. Die Empörung über diese Tat war in der italienischen Öffentlichkeit groß. Die Untätigkeit der Op- positionsparteien und die stillschweigende Duldung des Königs verschafften den Faschisten aber wieder einen Vorteil. Bei der Wiedereröffnung des Parlaments nahm Mussolini die Verantwortung für die Ermordung Mat- teottis auf sich und verkündete die Diktatur seiner Partei: Benenne mit Hilfe der Karte die jeweiligen Herrschaftsfor- men in den abgebildeten Staaten. W Diktaturen in Europa 1917–1938. 26 Nur zu Prüfzwe ken – Eigentum des Verlags öbv

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